Freitag, 25. Mai 2018

# 150 - Ein bisschen Optimismus bitte!

Steckt nicht den Kopf in den Sand!

 

Das könnte die Botschaft sein, die der französische Psychologe und ehemalige Dozent an der Universität Paris Ouest-Nanterre La Défense mit seinem Buch Der Welt geht es besser, als Sie glauben  vermitteln will. Lecomte zieht für seine Betrachtungen Statistiken und belastbare Studien heran.


Es ist ja alles so furchtbar! Ach, doch nicht?

Wir alle werden von schlechten Nachrichten überflutet: In Zeitungen, im Radio und Fernsehen und auch im Internet jagt eine Krise die nächste, zahllose Menschen sterben und unsere Umwelt ist offenbar so stark verseucht, dass wir nur noch abgekochtes Wasser trinken und flach atmen sollten. Die Welt ist zu einem Schmelztiegel von Gefahren geworden, und bei vielen Menschen macht sich das Gefühl breit: So schlimm wie jetzt war es noch nie! Aber Lecomte weist nach: Es gibt keinen Grund, vor Panik zu hyperventilieren. Im Gegenteil: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ging es mit der Erde und ihren Bewohnern bergauf. 

In vier Kapiteln greift Lecomte die Bereiche allgemeine Lebensqualität, Gesundheit, Umwelt und Gewalt auf und teilt diese in ihre verschiedenen Ausprägungen auf. So gliedert sich beispielsweise das Kapitel über die Gewalt in Kriege, Terrorismus, Kriminalität und Todesstrafe. Gerade der Terrorismus ist es, der vielen Menschen Angst macht, obwohl die Wahrscheinlichkeit, in Europa einem Terrorakt zum Opfer zu fallen, denkbar gering ist. Lecomte zieht hier die französischen Statistiken aus dem Jahr 2015 heran, die ungünstiger sind als diejenigen für Deutschland, weil in Frankreich mehr Menschen bei einem Attentat gestorben sind: 147 (in Deutschland niemand). 2015 kamen in Frankreich 3.616 Menschen durch Autounfälle und damit 25 Mal so viele wie durch Terrorismus ums Leben, an den Folgen des Rauchens verstarben dort 73.000 Menschen. Die Angst vor diesen beiden Risiken ist jedoch deutlich geringer als die vor dem Terrorismus. 

Der Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 in Paris ließ die Angst der Franzosen vor einem Terroranschlag nach oben schnellen - menschlich verständlich, aber nicht rational. Lecomte zitiert den renommierten Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan, der der Meinung ist, dass es ohne die Medien keinen Terrorismus gäbe. Der Terrorismus lebt von der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Angst der Menschen. Wenn ein Terroranschlag kein breites Publikum finden würde, wäre er für die Attentäter völlig sinnlos. Aber die mediale Aufmerksamkeit steigt, je mehr Opfer ein Anschlag gefordert hat. Das ist für Terroristen ein Anreiz, Anschläge mit immer mehr Toten und Verletzten zu planen und so das Medienecho am Leben zu erhalten. 

Lecomte nimmt ein Zitat von Osama bin Laden aus einem 2004 veröffentlichten Video, das sich an die USA und deren damaligen Präsidenten George W. Bush richtete: "(Es ist) leicht für uns, diese Regierung zu provozieren und zu ködern. Wir müssen nur zwei Mudschaheddins an einen Ort ganz im Osten schicken, wo sie ein Stück Stoff mit der Aufschrift Al-Quaida hochhalten, und schon drehen Generäle durch und ergreifen Maßnahmen, die menschliche, wirtschaftliche und politische Schäden für Amerika verursachen."

Lesen?

 

Wer bislang glaubte, dass wir einem Armageddon nahe sind, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. Jacques Lecomte vertritt eine optimistisch-realistische Weltsicht, die er mit harten Fakten untermauert. Er sitzt jedoch nicht auf einer rosa Wolke, sondern beendet jeden Abschnitt mit deutlichen Hinweisen darauf, wo es noch Handlungsbedarf gibt.
Der Welt geht es besser, als Sie glauben ist 2018 im Gütersloher Verlagshaus erschienen und kostet als Klappenbroschur 18 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 13,99 Euro. Es wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.

Nachtrag:

 

In diesem Text geht es ebenfalls um die Angst, die wir vor einigen Dingen haben, und die Frage, wie begründet diese ist. Auch hier zählen nur Fakten. 

Freitag, 18. Mai 2018

# 149 - Strafverteidiger schreibt über menschliche Abgründe

Was haben ein Bäcker, ein Richter und ein Mathematiker miteinander zu tun?

 

Ferdinand von Schirach ist Strafverteidiger, aber er ist weniger wegen seines Berufs, als vielmehr wegen seiner zahlreichen Bücher bekannt geworden. In Carl Thorberg versammeln sich drei kurze Erzählungen, die davon berichten, wann und unter welchen Umständen ein Mensch zum Mörder werden oder komplett die Seite wechseln kann. Diese Rezension wird kurz, denn das Buch ist es mit seinen 63 Seiten auch.

Enttäuschungen und ein Seitenwechsel 

 

Die drei Protagonisten in von Schirachs Kurzgeschichten sind auf den ersten Blick unauffällige Mitmenschen, die ihr Leben ohne größere Höhen und Tiefen leben. Doch der Berliner Bäcker hat eine dunkle Vergangenheit, die ihn wieder einholen wird. Eine dunkle Vergangenheit hat der unter scheinbar wohlhabenden Umständen aufgewachsene Carl Thorberg zwar nicht, aber ein Erlebnis aus seiner Kindheit hat sich tief in seine Seele eingegraben und wartet nur darauf, daraus wieder hervorzubrechen. Das geschieht auch, und zwar ausgerechnet zu Weihnachten. Und dann ist da noch der Amtsrichter Seybold, der jahrzehntelang pflichtbewusst und unspektakulär seine Arbeit macht, bevor er in den zunächst ebenfalls unspektakulären Ruhestand geht. Doch dann beobachtet er zufällig, wie sich zwei Jugendliche mit einem Draht an einem in einer Garage abgestellten Auto zu schaffen machen. Er sperrt sie kurzerhand ein und ruft die Polizei. Dieses Ereignis soll sein ganzes Leben umkrempeln.

Lesen?

 

Ja. Ferdinand von Schirach erzählt die drei Geschichten in einer schnörkellosen und klaren Sprache und hält jeweils überraschende Finale bereit. Ein kleines Buch über menschliche Untiefen.
Carl Tohrberg kostet als Klappenbroschur 8 Euro und als epub- oder Kindle-Edition 6,99 Euro. Das Buch wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.   

Freitag, 11. Mai 2018

# 148 - Wo bleibt der Mensch in der digitalen Zukunft?

Dienen uns die Maschinen oder ordnen wir uns ihnen unter?

 

Früher war Alexandra Borchardt Chefin vom Dienst bei der Süddeutschen Zeitung, heute forscht sie als Director of Strategic Development am Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford. In ihrem neuesten Buch Mensch 4.0 - Frei bleiben in einer digitalen Welt geht sie der Frage nach, welches Leben der einzelne Mensch und die Gesellschaft angesichts der fortschreitenden Digitalisierung wahrscheinlich zu erwarten haben. 

Immer im Fokus: Chancen und Risiken

 

Alexandra Borchardt nimmt sich bei ihrer Betrachtung praktisch alle Lebensbereiche des modernen Menschen vor. Die Bandbreite ihres Buchs reicht von Künstlicher Intelligenz über das Verschmelzen der analogen Realität mit der Cyber-Reality, der Manipulationen bei Wahlen, der bedrohten Privatsphäre bis zu Sex mit Robotern. Sie erläutert, inwieweit unser Leben durch Algorithmen gesteuert wird und welche Konsequenzen ein Fortschreiten dieser Entwicklung haben kann. Ist es noch möglich, in einer immer stärker überwachten und gesteuerten Welt Mensch zu sein? Emotional, ideenreich, oft spontan und von Zufällen geleitet? Geht die Aussicht der wachsenden Digitalisierung nicht auch damit einher, dass wir im täglichen Leben einen Gutteil unserer Kreativität abgeben? Algorithmen sind hierbei nicht nur keine Hilfe, sondern sogar eine Bremse: Das, was in sie hinein programmiert worden ist, sind rückwärtsgewandte Erkenntnisse, die die Zwecke, für die sie geschrieben wurden - z. B. Personalauswahl, Reise- oder Buchvorschläge etc. - nur in eine bestimmte Richtung bringen. Von den Versprechungen, die die Pioniere des Internetzeitalters damals gegeben haben, sind nicht nur die positiven Effekte wie die Vereinfachung des Lebens, sondern auch die unerwünschten Nebeneffekte wie z. B. die Datensammelwut der Großkonzerne wie Amazon oder Facebook, die Konzentration auf einige wenige Big Player und deren Marktmacht sowie das langsame Erodieren der Demokratie übrig geblieben. Über allen Überlegungen steht die Frage: Sind wir wirklich noch frei oder längst ein Bestandteil eines riesigen Manipulationsmechanismus'?

Lesen?

 

Alexandra Borchardt bietet ihren Lesern einen guten Überblick über die Problematik, die die Digitalisierung grundsätzlich mit sich bringt. Es wird jedoch schnell klar, dass sie vor allem befürchtet, dass diese technische Entwicklung bei allen Vorzügen, die sie hat, sich überwiegend zu unserem Nachteil auswirken wird. Das Aussterben ganzer Berufsgruppen von gering qualifizierten Beschäftigten bis zu Akademikern, das von Regierungen betriebene Durchleuchten der eigenen Bevölkerung, Hackerangriffe mit enormem Schadenspotenzial und die Fokussierung auf möglichst hohe Einnahmen für einige wenige Unternehmen haben beinahe dystopischen Charakter. Vieles von dem, was in Mensch 4.0 - Frei bleiben in einer digitalen Welt beschrieben wird, ist längst bekannt und wird schon eine ganze Weile diskutiert. Um die Abkehr vom persönlichen Kontakt zu belegen, greift Borchardt mitunter zu Beispielen, die nur schwer nachvollziehbar sind. So zitiert sie beispielsweise die MIT-Psychologin Sherry Tukle, die beklagte, dass immer weniger Studenten in ihre Sprechstunde kommen und ihr lieber perfekt formulierte E-Mails schicken. So könnten sich die Studenten immer seltener als Mensch präsentieren und eine Beziehung zu ihrem Gegenüber aufbauen. Dass die Studenten kein Interesse an langen Wartezeiten auf dem Uni-Flur haben könnten oder ihnen Turkle schlicht nicht sympathisch ist, kam in den Überlegungen nicht vor.
Manche von Borchardts Tipps, die sie teilweise von anderen Fachleuten übernimmt, lesen sich wie aus einem Erziehungsratgeber für Eltern: Smartphonefreie Zonen oder Situationen sollen dazu beitragen, die menschliche Empathie zu trainieren. Dass das Smartphone nicht vor dem real existierenden Menschen, der einem direkt gegenüber sitzt, den Vorrang haben sollte, sollte ein Gebot der Höflichkeit sein, aber muss nicht mehrere Buchseiten füllen. Andere Aussagen sind hingegen berechtigt und wichtig: Die Digitalisierung hat so starke Auswirkungen auf unser Wirtschaftssystem und den Sozialstaat, dass das Verhältnis zwischen Mensch, Kapital und Maschine neu definiert werden muss.
Ich bin unentschlossen, wie ich dieses Buch für mich bewerten soll. Mich hat der Strom an Zitaten gestört, weil Borchardts eigene Ansichten oft so nur unklar dargestellt wurden. In vielen Fällen schien sie sich außerdem trotz des Abwägens von Für und Wider nicht festlegen zu wollen, welche Haltung sie selbst zu dem einen oder anderen Sachverhalt hat. Ich hätte mir häufiger eine klarere Positionierung gewünscht.
Gerade im letzten Kapitel hat sie sich jedoch damit beschäftigt, was wir selbst tun können, um einer ungünstigen Entwicklung der digitalen Welt vorzubeugen.

Mensch 4.0 - Frei bleiben in einer digitalen Welt ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 15,99 Euro. Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir das Buch zur Verfügung stellte.

Wer sich für die Digitalisierung und ihre Folgen interessiert, dem kann ich das Buch Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde empfehlen. 

Freitag, 4. Mai 2018

# 147 - Jetzt wird's lokal: 2 Bücher eines Autors

In Sachsen wird gemordet und geliebt

 

Auf der Leipziger Buchmesse habe ich den Autor Rainer Böhme kennengelernt, der mir zwei seiner Bücher empfohlen hat. Ich hatte schon in meinem Messebericht angekündigt, sie vorzustellen, und heute ist es soweit.
Eines der beiden Bücher ist Rainer Böhme besonders wichtig, weil ihm das Thema am Herzen liegt: Der Buchtitel Die Türken kommen weckt zuerst die Befürchtung eines bewaffneten Überfalls der Heerscharen eines osmanischen Sultans, aber der Roman spielt im Hier und Jetzt, und anstelle eines Heeres geht es um nur drei Türken. Die in Berlin lebende türkische Familie Güzel gewinnt bei einem Fernsehquiz einen zweiwöchigen Urlaub in der Sächsischen Schweiz. Die Mutter und ihre zwei erwachsenen Kinder Sevim und Tunc machen auf dem Weg zur Pension eine Pause in einem Burger-Restaurant in Pirna, wo Tunc versehentlich mit einer Spielerin eines Handballvereins zusammenstößt und sich die Getränke über seine Hose und die der jungen Frau ergießen. Ein kurzes, heftiges Kennenlernen, das beiden die Laune verdirbt. 

Marsianer? Romulaner? Nein, nur Türken in Sachsen

 

Die Wirte der Pension in der Nähe von Bad Schandau hatten mit deutschen Gästen gerechnet, aber dass sie nun für zwei Wochen eine türkische Familie beherbergen würden, löst - gelinde gesagt - Irritationen aus. Vor allem dem Sohn der Eheleute sind die türkischen Urlauber ein Dorn im Auge: Mit seiner politischen Gesinnung am äußersten rechten Rand sind für ihn alle Nicht-Deutschen Untermenschen. Doch in der Pension läuft Tunc die Handballspielerin aus dem Burger-Restaurant wieder über den Weg: Sie ist die Tochter der Pensionseigentümer. Obwohl Hanna und Tunc sich zunächst gegen ihre Gefühle, die sie füreinander empfinden, wehren, werden sie ein Paar. Das ruft Hannas Bruder auf den Plan, der gemeinsam mit seinen Freunden aktiv wird. Die Lage wird für Tunc gefährlich.
Die Türken kommen ist mit 84 Seiten eine relativ kurze Geschichte, in der Rainer Böhme den Hass und die Vorurteile beschreibt, die der türkischen Familie in einem sächsischen Dorf entgegenschlagen. Beim Lesen fühlte ich mich an die BRD der 1970er Jahre erinnert, als das "Anderssein" noch deutlich schwieriger war als heute. Ich habe mich gefragt, ob türkische Urlauber in der sächsischen Provinz heute tatsächlich noch so viel Aufsehen erregen, wie es Rainer Böhme beschreibt. Ein Buch, das dem einen oder anderen den Spiegel vorhält.

Mysteriöser Mord in Südsachsen


Das zweite Buch ist aus einem ganz anderen Genre: Rainer Böhme, der früher Kripochef in Berlin-Marzahn war, hat mit Mord in Zittau einen Krimi geschrieben, in den sicher so manche Erfahrung aus seinem damaligen Berufsleben eingeflossen ist. Im sächsischen Zittau wird das Model Alexa Faber tot in im Auto aufgefunden, den Mund voller Geldscheine. Die Tatumstände lassen den Schluss zu, dass ihr Ex-Mann Steffen der Täter ist. Steffen wird verhaftet, beteuert aber seine Unschuld und bittet die befreundete Anwältin Liane Hempel um ihre Hilfe. Ihr steht der frühere Berliner Kriminalbeamte Jürgen Grahl zur Seite, der als Privatdetektiv arbeitet, um seinem Leben als Rentner und Witwer zu entfliehen. Dieses Duo stellt erfolgreich eigene Recherchen an, was den Zittauer Kriminalbeamten nicht immer gefällt. Doch letztlich sind es ihre Beharrlichkeit und Grahls teils leichtsinnige Risikofreude, die dem Fall zum Durchbruch verhelfen und klären, wer Alexa Faber getötet hat und warum.
Beinahe parallel zu diesem Mordfall wird Alexas Tochter Frederike vermisst. Dieser Umstand wird zwar immer wieder in die Handlung eingestreut, die Polizei scheint sich aber nicht vor Eifer zu überschlagen, die Minderjährige wiederzufinden. Das ist irritierend, da bei vermissten Kindern und Jugendlichen üblicherweise alle polizeilichen Register gezogen werden, um die Verschwundenen zu finden.
Der Krimi ist flüssig geschrieben, das Lesevergnügen wird allerdings etwas durch Fehler getrübt, die durch ein aufmerksames Korrektorat und Lektorat hätten vermieden werden können.

Die Türken kommen ist im Selbstverlag erschienen und kann per Mail über den Autor bezogen werden (boehme.sebnitz@t-online.de). 

Mord in Zittau ist im Dresdner Verlag herausgegeben worden und als Taschenbuch für 12,80 Euro erhältlich.