Donnerstag, 29. März 2018

# 142 - Der Weg zum kreativen Schreiben

Kann man kreatives Schreiben lernen?

 

Wer schon eine ganze Weile im stillen Kämmerlein seine Texte schreibt, kennt das wahrscheinlich: Das, was man da aufs Papier oder auf den Bildschirm bringt, ist ganz nett, aber man merkt, dass man im Grunde auf der Stelle tritt. Der Schreibstil entwickelt sich nicht weiter, die Ideenfindung gleicht dem Blick in einen leeren Eimer. Aber einen Schreibkurs zu besuchen, ist nicht Jedermanns Geschmack. Für alle Schreiber, die am eigenen Schreibtisch einen Schubs haben möchten, ist Mit dem Schreiben anfangen. von Hanns-Josef Ortheil genau das richtige Buch.

Wie klappt der Sprung vom Hobby- zum Profischreiber?

 

Ortheil hat sein Buch in fünf Kapitel aufgeteilt, in denen er seinen Lesern nach und nach zeigt, wie es mit dem Schreiben immer besser klappen kann. Er beginnt mit Tipps, die sich mit dem Schreibtisch und den Schreibegeräten beschäftigen und fährt mit den verschiedensten Schreibprojekten fort, die sich im Verlauf des Buches steigern. Er hebt dabei nicht belehrend den Zeigefinger, sondern gibt Hinweise und zeigt Möglichkeiten auf, wie man sich dem kreativen Schreiben Stück für Stück nähern kann. Ortheil erläutert das Wie und Warum seiner Übungen in einem lockeren Plauderton, sodass man Lust bekommt, sofort mit seinen Vorschlägen zu beginnen. Aber wie beim Sprachenlernen oder in der Musik ist es auch mit dem Schreiben: Am Ball zu bleiben und sich täglich Zeit dafür zu nehmen sind die Grundvoraussetzungen, tatsächlich Erfolge zu haben und sich weiterzuentwickeln.
Ortheil bietet insgesamt 25 Textprojekte und Schreibaufgaben an, die die Grundlage für eigene Projekte oder sogar Bücher sein können. In seiner Nachbetrachtung beschreibt er, worauf beim einfachen Anfangen mit einem Text, bei der Wahl eines Erzählers oder bei der Konstruktion der Figuren geachtet werden sollte. 

Lesen?

 

Mit dem Schreiben anfangen. richtet sich an alle, die gern schreiben und ihren Stil verbessern wollen, sich Tipps zur Ideenfindung und zum Aufbau ihrer Geschichte oder ihres Romans wünschen oder einfach einen roten Faden suchen, an dem sie sich entlanghangeln können. Ein Buch, das sich nicht nur an Schreibanfänger richtet, sondern auch an Menschen, die bereits über einige Schreiberfahrung verfügen.
Hanns-Josef Ortheil ist Schriftsteller, Germanist und Professor am Institut für Literarisches Schreiben & Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim. Die lange Liste seiner Veröffentlichungen bürgt für reichlich Expertise auf diesem Gebiet.

Mit dem Schreiben anfangen. ist 2017 im Dudenverlag Berlin in der Reihe Kreatives Schreiben erschienen. Das gebundene Buch mit Lesebändchen kostet 14,95 Euro. 
Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir das Buch zur Verfügung gestellt hat. 

Freitag, 23. März 2018

# 141 - Witzig und nachdenklich: Ein Leben zwischen Schauspielschule und Alkoholismus

So ungewöhnlich, dass es einfach wahr sein muss

 

Joachim Meyerhoff fährt nach Alle Toten fliegen hoch - Amerika und Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war mit Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke fort, über sein Leben zu schreiben. In diesem dritten Teil ist er aus seinem Auslandsjahr in den USA zurück und muss sich mit zwanzig überlegen, was er mit seinem Leben anfangen will. Eher halbherzig bewirbt er sich bei der renommierten Otto Falckenberg Schule in München um einen Platz als Schauspielstudent, hängt aber gleichzeitig der romantischen Idee nach, zunächst eine Zivildienststelle im Münchener Klinikum rechts der Isar zu beginnen: ein bisschen Schwimmunterricht für kranke Kinder geben und die Freuden genießen, die das Leben im Schwesternwohnheim als junger Mann so mit sich bringt. Doch es kommt anders.

Ein Leben in zwei Welten

 

Obwohl sich Mayerhoff nicht als künftigen Schauspieler sieht, nimmt er an den Aufnahmeprüfungen der Otto Falckenberg Schule teil. Es werden fürs Vorsprechen drei Rollen erwartet, er kann nur eine vortragen und die auch nur stockend. Er wird wider Erwarten angenommen und zieht mangels Alternativen bei seinen Großeltern ein. Seine Großmutter ist eine frühere Schauspielerin und ehemalige Lehrerin an der Schauspielschule ihres Enkels, die viele divenhafte Allüren hat. Meyerhoffs Großvater ist ein emeritierter Philosophieprofessor, angesichts dessen Bildung sich auch der erwachsene Joachim ziemlich klein fühlt. Dieses Paar bewohnt eine alte Villa im vornehmen Stadtteil Nymphenburg, die mit Möbeln und Dekorationen ausgestattet ist, die das gemeinsame jahrzehntelange Leben förmlich atmen. Seit langer Zeit halten sich die Großeltern an einen strikten Tagesablauf, der mit zwei Gläschen Champagner zum Frühstück beginnt und mit Cointreau am Abend endet. Dazwischen hat der Tag drei weitere Gründe, etwas Belebendes zu sich zu nehmen, irgendwann wird sogar direkt nach dem Aufstehen mit Enzianschnaps gegurgelt. Für die Gesundheit, versteht sich. Der Enkel Joachim wird im rosa Zimmer einquartiert, das sich ebenfalls so lange nicht verändert hat, wie er zurückdenken kann. Sein Versuch, den Rosaanteil des Raums zu reduzieren, wird dann auch sofort unterbunden. Das Leben Meyerhoffs bei seinen Großeltern ist wie in einem Kokon: Sie sind in ihrer eigenen Welt, egal, was draußen vor ihrer Tür passiert.

Da ist die Schauspielschule schon etwas ganz anderes. Der Schüler Meyerhoff wird mit den unterschiedlichsten Menschen konfrontiert und muss sich Dingen zuwenden, von denen er bislang keine Ahnung hatte. Doch er schafft nur, sich im Aikido zu behaupten. In allen anderen für das Theater typischen Fächern scheitert er. Sein größtes Problem ist dabei, sich zu öffnen und etwas von seiner Persönlichkeit in die Darstellung der geforderten Charaktere zu legen. Als jedoch Kostüme aus dem Fundus der Münchener Kammerspiele für einen wohltätigen Zweck versteigert werden sollen, hat er auf dem Laufsteg in einem langen Glitzerkleid und High Heels seinen großen Auftritt. Doch im Grunde will er nur eines: auf der Bühne stehen, ohne gesehen zu werden.

Der Schatten auf seiner Seele

 

Meyerhoff wird klar, dass sein Verhalten und sein Gefühl, ein Getriebener zu sein, ihre Wurzeln im Unfalltod seine Bruders haben. Er hat den Verlust verdrängt, aber nicht verarbeitet. Diese Lücke, die im Buchtitel genannt wird und aus Goethes Werther zitiert ist ("Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle"), ist die, die durch den Tod des älteren Bruders für immer gerissen wird. 
Die Schule wird zu einem angstbesetzten Ort voller Chaos und Unberechenbarkeit, wo auf ihn nur die ständige Überforderung lauert. Bis heute kann er sich nicht erklären, warum man ihn an der Schauspielschule angenommen hat. Insgeheim vermutet er, dass seine Großmutter ihre Finger im Spiel hatte, aber das bleibt ungeklärt.
Doch es soll noch weitere Leerstellen in Meyerhoffs Leben geben: Nach seiner Abschlussprüfung sterben sowohl seine Großeltern als auch sein Vater innerhalb kurzer Zeit. 

Lesen?


All diese Erlebnisse erzählt Meyerhoff zwar ernst, aber mit viel hintergründigem Humor, der die Zuneigung, die er zu seiner teilweise schrulligen Verwandtschaft hat, widerspiegelt. Ein sehr gutes Buch, nach dessen Lesen man kaum glauben mag, dass der Autor ein gefeierter Schauspieler geworden ist, der von der Zeitschrift Theater heute zum "Schauspieler des Jahres 2017" gekürt wurde und seit Jahren beim Wiener Burgtheater unter Vertrag ist.

Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 21,99 Euro, als Taschenbuch 10,99 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 9,99 Euro.

Mittwoch, 21. März 2018

Leipziger Buchmesse: Ein Tag ganz ohne Bücher (Teil 4)

Mal etwas anderes sehen

 

Wie ich schon im zweiten Teil meines Messeberichts geschrieben habe, wurde aus dem von den Wettervorhersagen angekündigten leichten Schneefall ein handfester Wintereinbruch - große Klasse, so kurz vor dem Frühlingsanfang. Der Tag sollte natürlich nicht mit Nichtstun vorübergehen, aber eine Aktivität außerhalb von beheizten Räumen schied aus: Es schneite weiter, und ein eiskalter Wind ließ die gefühlte Temperatur auf -15° C absinken. Da stießen wir im Internet auf das Panometer Leipzig

Darum geht es

 

Der Künstler Yadegar Asisi hat in einem ehemaligen Gasometer innerhalb von drei Jahren ein 360°-Panorama geschaffen, auf dem die gesunkene Titanic in 3.800 Metern Tiefe plastisch dargestellt wird. Eine Ausstellung im Vorraum informiert die Besucher zunächst über die Technik der Titanic, die das Schiff unsinkbar machen sollte, und die Ursachen, die zum Untergang geführt haben. Auch die Entstehung der Schwesterschiffe Britannic und Olympic wird erläutert. Dort befindet sich auch eine Rekonstruktion des Titanic-Bugs im Maßstab 1 : 1.
Im Inneren des Gasometers ist auf einem rundum gespannten Transparent das Wrack der Titanic und seine unmittelbare Umgebung abgebildet. Ganz unten auf dem Meeresboden sieht man seitlich zum Rumpf ein kleines Tauchboot.
Der plastische Effekt ist zwar schon von unten sichtbar, er verstärkt sich jedoch deutlich, wenn man die Treppen des Stahlturms besteigt, der sich in der Mitte des Gebäudes befindet. 
Asisis Leipziger Panoramen wechseln im Jahrestakt, die Titanic ist also nur bis Ende 2018 zu sehen.

Die Deutsche Welle hat einen sehenswerten Info-Film zur Verfügung gestellt:


Wer sich in oder um Leipzig befindet, sollte sich das Panorama ansehen. Ich finde, es lohnt sich.

 

Leipziger Buchmesse: Diese Bücher haben mich interessiert (Teil 3)

Viele, viele Cover

 

Na klar, wenn man über eine Buchmesse geht, findet man zahllose Bücher, die man am liebsten sofort mit nach Hause nehmen möchte. Ich habe die meiste Zeit auf der Leipziger Buchmesse mit dem Anlesen vieler Bücher verbracht und bin auf Titel gestoßen, die gerade erst auf den Markt gekommen oder aber schon seit einiger Zeit verfügbar sind. Ich schmeiße sie hier jetzt einfach unsortiert und nur kurz kommentiert auf diese Seite. Dazu kommen noch die Bücher, über die ich bereits in Teil 2 meines Messeberichts geschrieben habe.

Rolf Arnold, Professor an der TU Kaiserslautern, schreibt über das, dessen viele Menschen überdrüssig zu sein scheinen: den Umgang mit Fakten. Wie geht man verantwortungsvoll mit der Wirklichkeit um?
Erschienen im Carl Auer Verlag.


Axel Schwab hat mehrere Jahre in Japan gelebt und einige Bücher über das Land geschrieben. In diesem erklärt er Japan-Unkundigen, wie man sich im Alltag des Inselstaats zurechtfindet. 
Auf diesem Blog gibt es eine Rezension zu seinem Titel Sushi-Guide. Japan ist bei BoD erschienen.

Karina Both-Peckham bekocht nicht nur ihre Familie, sondern auch ihre Gäste in Peckham's House. Auch von ihr befidnet sich bereits ein Buch auf diesem Blog, nämlich der erste Band ihrer Reihe: Lieblingssuppen.
Erschienen bei BoD.

Der Autor Wei Zhang beschreibt das Leben zur Zeit von Maos Kulturrevolution aus der Sicht einer Fünfjährigen. Absurde Situationen können gefährlich werden. Die Lesung mit Wei Zhang habe ich leider wegen des Schneechaos' verpasst. Erschienen bei Salis.


1973 wird der österreichische Skirennfahrer Franz Klammer mitten im Abfahrtslauf ins Jahr 33 zurückgeworfen und landet in Jerusalem direkt auf Jesus Christus. Eine absurde Geschichte beginnt. Erschienen bei Lector Books, einem Imprint der Torat GmbH.

Christopher Buckley schreibt über einen beruflichen Super-GAU:
Herb Wadlough ist der persönliche Berater des fiktiven US-Präsidenten Tucker, fällt aber vor allem aufgrund von Intrigen bei ihm in Ungnade. Buckley verarbeitet in seinem Buch seine Zeit als Redenschreiber für George Bush sen. auf witzige Weise. Erschienen bei Louisoder.


Eine wahre Geschichte aus Deutschland während des ersten Weltkriegs. Der Krieg war fast verloren, als Leutnant Stern einen waghalsigen Plan entwickelte: 14 muslimische Gefangene, die als Zirkusgruppe verkleidet waren, sollen nach Konstantinopel geschmuggelt werden, um den Sultan dazu zu bringen, für das befreundete Deutschland den Dschihad auszurufen. Erschienen bei Galiani Berlin, einem Tochterverlag von Kiepenheuer & Witsch.


In grenz:zeiten geht es um Grenzerfahrungen, die der Krieg, das Sterben und die Familie mit sich bringen. Ein Roman mit autobiographischen Elementen, der aber nicht nur traurig, sondern auch witzig ist. Erschienen im Wenz Verlag.


Wer eine Reise nach Nordkorea plant, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Interessant ist es aber auch, wenn man nur einen literarischen Blick über den Zaun werfen möchte. Erschienen bei DVA.



Ein kleines Mädchen aus dem schwedischen Fjällbacka wird vermisst. Ihr Verschwinden erinnert die Einwohner an einen 30 Jahre zurückliegenden Fall, der fast vergessen zu sein schien. Erschienen im List Verlag.



Ein Blick in die Zukunft der Menschheit angesichts der fortschreitenden Technisierung. Erschienen im Verlag C. H. Beck.






Der junge verwundete Soldat Veit Kolbe reist Anfang 1944 nach Mondsee in Österreich, um wieder gesund zu werden. Er trifft auf zwei Frauen, die wie er auf Normalität hoffen. Doch so einfach ist das nicht, denn Kolbe wird von Alpträumen geplagt und sinnt über die Vergangenheit nach. Erschienen bei Hanser. Arno Geiger hat u. a. auch den Roman Es geht uns gut
geschrieben, für den er 2005 den Deutschen Buchpreis erhielt.


Die 21jährige Nora wandert mit ihrer jüngeren Schwester Theresa von Irland in die USA aus. Sie möchte bei ihrem Verlobten sein und der Schwester eine Ausbildung ermöglichen. Doch als Theresa schwanger wird, muss eine Entscheidung getroffen werden. Erschienen im Paul Zsolnay Verlag.

Der österreichische Künstler und Autor André Heller spricht mit seiner 1914 geborenen Mutter über ein Jahrhundert voller Leben und Ereignisse. Erschienen im Paul Zsolnay Verlag.




Das Buch erzählt den fimreifen Überfall auf ein Gelddepot in der Nähe von Stockholm, der 2009 stattgefunden hat. Manchmal ist das Leben spannender als ein erdachter Krimi. Erschienen bei Piper.



Und sonst?

 

Die Autoren dieses im Alexander Verlag Berlin erschienen Buches wollen ihre Leser davon überzeugen, dass das Urheberrecht zugunsten einer Regulierung der Marktverhältnisse abgeschafft werden sollte. Das Buch wurde gratis vom Verlag abgegeben. Ich gebe zu, dass ich grundsätzlich skeptisch bin, aber wenigstens einen Blick in No Copyright werfen werde.

Das war es auch "schon". Vermutlich wären es noch mehr Bücher gewesen, wenn wir nicht an einem der vier Messetage im Panometer Leipzig gewesen wären. Was das ist, könnt ihr hier nachlesen.



 

Leipziger Buchmesse - so ging es weiter (Teil 2)

Warum nicht alles lief wie geplant

 

Ich hatte mir für den dritten Messetag vorgenommen, bei bestimmten unabhängigen Verlagen vorbeizuschauen. Doch ein Plan ist manchmal auch dazu da, umgestoßen zu werden: Am Vorabend hatte es in Leipzig begonnen zu schneien und auch die ganze Nacht hindurch nicht aufgehört. Am nächsten Morgen war in den Verkehrsnachrichten davon die Rede, dass der Verkehr in und um Leipzig praktisch zusammengebrochen ist und sich auf Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen lange Staus gebildet haben. Google Maps hatte die Lage in vielen kurzen und langen rot markierten Straßen angezeigt: Von unserem Hotel in Merseburg sollte die Autofahrt, für die man normalerweise eine halbe Stunde benötigt, nun fast zwei Stunden dauern. Bei der Aussicht, bei Minusgraden im Schneckentempo zum Messegelände zu fahren, ist uns die Lust abhanden gekommen. Ein Alternativprogramm musste her, das gut erreichbar sein sollte und in geschlossenen Räumen stattfindet. Wir sind fündig geworden und haben das Panometer Leipzig besucht. Was sich dahinter verbirgt, schreibe ich hier.

Der letzte Messetag

 

Da wir wegen der Heimfahrt nicht zum Messeschluss um 18 Uhr bleiben wollten, mussten wir unser Programm ein bisschen straffen. 

Ganz gezielt habe ich beim Polar Verlag vorbeigeschaut, weil mir dessen Konzept gefällt: Dort werden Krimis jenseits des Mainstreams herausgebracht, in denen es auch schon mal ein bisschen zur Sache geht. Auf diesem Blog habe ich bereits die beiden Krimis Libreville und Brant vorgestellt. Auch hier habe ich erlebt, was ich schon im ersten Teil meines Messeberichts geschrieben habe: Die Gesprächsbereitschaft war im Gegensatz zu den Publikumsverlagen groß, und ich bin mit dem Buch Ein einziger Schuss von Matthew F. Jones nach Hause gegangen, das ich hier noch vorstellen werde. 

Interessant war auch der Besuch beim Verlag Donata Kinzelbach. Dort liegt der Schwerpunkt auf Literatur aus dem Maghreb, die Bandbreite reicht von Lyrik bis zu Romanen, die Aktuelles oder Historisches aufgreifen. Diese sehr spezielle Ausrichtung stellt die Verlegerin immer aufs Neue vor die Herausforderung, für die von ihr herausgegebenen Bücher einen angemessenen Preis festzulegen: Für jedes Buch müssen zunächst die Rechte erworben und die Übersetzungskosten bezahlt werden. Das ist gerade für einen kleinen Verlag oft nicht leicht. Ich finde das Verlagsprogramm jedoch so interessant, dass ich bestimmt darauf zurückkommen werde.


Mit dem Autor Rainer Böhme hatte ich auf dem Stand des Dresdner Verlags ein gutes Gespräch, in dem er mir zwei seiner Bücher vorstellte. Ich habe sie mit nach Hause genommen und werde sie mir in Ruhe ansehen. Es wird zu beiden einen Blogbeitrag geben.


Vom vielfältigen Angebot der unabhängigen Verlage wird man fast erschlagen. Um mir zusätzlich zu meinen Standbesuchen einen Überblick zu verschaffen, habe ich diese kleine Broschüre mitgenommen. Sie wurde vom Branchenmagazin BuchMarkt und der Kurt Wolff Stiftung, die sich die Förderung einer vielfältigen Literatur- und Verlagsszene zum Ziel gesetzt hat, herausgegeben. Das Spektrum reicht vom Alexander Verlag Berlin bis zum zu Klampen! Verlag aus Springe bei Hannover.


Als sehr offen und gesprächsbereit habe ich auch die Standmitarbeiter der Universitäten erlebt. Auch sie suchten den Kontakt zu den Besuchern und beantworteten kompetent alle Fragen. Ich kann - auch wenn ich mich hier wiederhole - nicht nachvollziehen, warum das bei den großen Verlagshäusern nicht möglich ist.

Immer wieder Politik

 

Die "Ecke" der rechtsgerichteten Verlage hatte ich schon am zweiten Messetag gesehen. Es ist erstaunlich, dass sich oft erst auf den zweiten Blick erkennen lässt, welche Gesinnung hinter ihnen steckt. Den Tumult am Stand des Antaios Verlags habe ich nicht mitbekommen, da wir an diesem Tag nicht auf dem Messegelände waren. Die Politik zog sich jedoch wie ein roter Faden durch die Hallen: Die Initiative #Verlagegegenrechts war ziemlich aktiv, und auch bei den osteuropäischen Verlagen ging es immer wieder um politische Themen. 

Mehr zufällig bin ich auf eine Veranstaltung der 3sat Literaturlounge mit dem Schriftsteller Catalin Florian Florescu gestoßen. Florescu stammt aus Rumänien, ist aber heute Schweizer Staatsbürger. Er schreibt Romane über das Leben in Diktaturen, der Flucht aus diesen Ländern und den Neuanfang in einem demokratischen Land. 


 
Nicht zuletzt gab es auch etliche Stände, an denen Buchkunst, hochwertige Kunst-Illustrationen und ungewöhnliche Buchdrucke gezeigt wurden. Vom Stand des Gutenberg-Museums Mainz musste dieser hübsche Vogel bei mir einziehen.


Wie war's?

 

Die Leipziger Buchmesse war vielfältig und bunt - sowohl, was die unterschiedlichen Genres, die zahlreichen Verlage, die Autoren vor Ort als auch die politischen Ausrichtungen betraf. Nicht zuletzt haben auch die verkleideten Besucher der Manga-Comic-Con für viel Farbe und zahlreiche Hingucker gesorgt. Dem diesjährigen Schwerpunktland Rumänien konnte ich mich leider nur kurz wirdmen. Der im Schnee versunkene Messetag hat dann doch gefehlt. 

Nach den Rangeleien zwischen linken Demonstranten und dem Standpersonal des rechten Antaios-Verlags schien die Präsenz des Sicherheitspersonals und der Polizei zugenommen zu haben. Das war zumindest unser Eindruck, als wir uns am Vormittag des letzten Messetages auf den Weg zu Halle 4 machten. Auch an der Zufahrt zum Presseparkplatz ging es "griffiger" zu: Zwei Tage zuvor war es noch problemlos möglich gewesen, dass wir wegen meiner körperlichen Einschränkung direkt vor dem Pressezentrum parken durften. Am letzten Tag erhielten wir dann aber die barsche Anweisung eines Security-Mannes an der Einfahrtschranke, dass das nicht gehe und wir auf den außen gelegenen Parkplatz fahren müssten. Meinem Hinweis auf meine spezifische Situation wurde im Kasernenton mit der Anweisung "Sie fahren jetzt geradeaus!" begegnet. Nur gut, dass man im Auto nicht die Hacken zusammenschlagen kann. Transparenz und eine lebensnahe Regelung der Parksituation wären hier sehr wünschenswert gewesen. Ach ja, Freundlichkeit hat auch noch keinem geschadet.
Trotzdem: Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, bin ich beim nächsten Mal wieder dabei. 

Ich habe natürlich auch viele Bücher gesehen, die mir nach dem ersten Anlesen sehr gut gefallen haben. Welche das sind, habe ich hier aufgeschrieben.  

Samstag, 17. März 2018

Leipziger Buchmesse 2018 - ein Eindruck nach zwei Tagen Messe

Wie war's bis jetzt?

 

Zwei Tage LBM18 sind vorbei, Zeit für eine kurze Zwischenbilanz. Ich bin dort als Buchbloggerin mit Presseausweis, was einige Vorteile mit sich bringt: Ich zahle keinen Eintritt, die separate Garderobe ist gratis, das Parken ebenso und das
LBM 2018 - Halle Presseeingang

Journalistenrestaurant bietet Essen zu günstigen Preisen an. Als Erkennungsmerkmal trägt man während des Messebesuchs den Presseausweis an einem blauen Band um den Hals. Das erinnert an die bunten Armbändchen in All-inclusive-Hotels. Die Organisation rund um Anfahrt und Akkreditierung habe ich im Vergleich zur Frankfurter Buchmesse als besser empfunden. Doch weiter mit dem eigentlichen Messebesuch.

Halle 1: Bunter geht es nicht

 

Dies ist mein erster Besuch auf der Leipziger Buchmesse. Aus Gründen, die in meiner Person liegen, überlege ich mir vor solchen Großveranstaltungen genau, ob es sich für mich lohnen könnte, die Mühe eines Besuchs auf mich zu nehmen. Der Aufwand ist etwas größer, da mich eben wegen dieser persönlichen Gründe eine Person begleitet. Wie schon in Frankfurt wie auch jetzt in Leipzig ist meine Freundin bei mir, die mich seit 40 Jahren kennt und erträgt. Danke Sabine!
Vom Presseeingang aus kommt man an der bestimmt buntesten Halle vorbei: Gleich in Halle 1 findet die Manga-Comic-Con statt. Da geht das Herz allen auf, die sich für Mangas, Comics, Animes und Games interessieren. Meins nicht, weil mich das nicht besonders anspricht, aber die Besucher sind vom Jugendlichen bis zum Erwachsenen phantasievoll verkleidet. Von Kostümen von der Stange bis zu aufwendigen selbstgemachten ist alles dabei. Wem das noch nicht genug ist, der belässt es nicht nur bei schillernder Kleidung, auffälligen Perücken oder geschminkten Gesichtern, sondern setzt sich auch noch ein blinkendes Geweih auf. Man fällt eher auf, wenn man in normaler Kleidung herumläuft. 


Vorträge und Lesungen

 

Ich habe mir sehr unterschiedliche Lesungen angesehen und gebe zu, dass ich offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen bin. Der Auftritt bei einer so großen Veranstaltung mit einer breiten Wirkung sollte gut vorbereitet sein. Das dachte ich zumindest. Eine Autorin, deren Buch in einem Publikumsverlag erschienen ist und die für ihr Werk einen Preis erhalten hatte, wurde von einer Dame angekündigt, die offenbar eine Verlagsmitarbeiterin war. Sie schien so etwas nicht so oft zu machen, ihr Part wirkte unsicher und nicht professionell. Die Autorin las eine knappe halbe Stunde einige Teile aus ihrem Buch, die sie sich in einer Mappe zusammengestellt hatte. Aber nicht nur das Mikrofon war nicht optimal eingestellt, die Autorin hatte offenbar auch keine Übung im Vorlesen. Ihre Stimme schwankte, und teilweise las sie den Text so betont vor, dass es anstrengend wurde, ihr zuzuhören. Ich verstehe nicht, dass ein großer Verlag solch einen Termin, der den Verkauf ankurbeln soll, nicht besser und professioneller vorbereitet. 
Ein Self Publisher hat auf einer anderen Bühne aus seinem neuesten Krimi vorgelesen, der in Norddeutschland spielt. Er wirkte zwar etwas verloren, kam aber gut rüber. Ich habe vor so einem Einsatz Respekt, weil sich Self-Publishing-Autoren um alles selbst kümmern müssen und es schwer haben, gegen Publikumsverlage zu bestehen. 
Ein Poetry-Slammer hat ebenfalls aus seinem Buch gelesen. Ich habe bisher nicht gewusst, dass Slammer das, was sie auf der Bühne machen, auch in Büchern veröffentlichen. Fehlt da nicht das ganze Atmosphärische, was deren Auftritte auch ausmacht? Dieser Autor hatte - wen wundert's - die nötige Bühnenerfahrung, um sein Publikum gut zu unterhalten.
Mehr zufällig habe ich dann bei einem Vortrag zugehört, der von einem großen deutschen Nachrichtenmagazin veranstaltet wurde. Diese Wochenzeitschrift ist u. a. bekannt dafür, dass sie wöchentlich aktuelle Bestsellerlisten veröffentlicht. Bücher, die dort mal aufgetaucht sind, bekommen einen orangen Aufkleber aufs Cover. Jetzt weiß ich, wie diese Bestsellerlisten zustande kommen. Bisher habe ich geglaubt, es ginge nur um die Bücher mit den höchsten Verkaufszahlen. Okay, das spielt auch eine Rolle, aber eben nicht nur: Die tatsächlichen Bestsellerlisten werden dann noch mal "bereinigt". Titel, die so etwas wie Evergreens sind, fliegen sofort raus: Der Duden und die Bibel wird man darum nicht in diesen Listen sehen. Außerdem erhebt man den Anspruch, dass die erstellten Bestsellerlisten einen Trend widerspiegeln sollen. Eine Flut von Bibelkäufen, die möglicherweise eine neue Hinwendung der Buchkäufer zum Religiösen markieren könnte, würde zumindest in dieser manipulierten Liste außen vor bleiben. 


Und sonst so?

 

Um sich das anzusehen, was die großen Publikumsverlage neu auf den Markt gebracht haben, muss man nicht zur Buchmesse gehen. Neben brandaktuellen Titeln liegen auch solche, die schon vor etlichen Jahren auf den Markt gebracht wurden. Deshalb habe ich meinen Schwerpunkt auf unabhängige Verlage und Self Publisher gelegt. Das war auch aus einem anderen Grund gut: Trotz meines am Hals baumelnden Presseausweises spricht das Standpersonal der großen Verlage nur mit den eigenen Kollegen oder Menschen, mit denen vorab bereits Treffen abgesprochen worden sind. Andere werden schlicht ignoriert. Ich finde das angesichts der schwindenden Anzahl von Buchkäufern erstaunlich. Kein Kontakt zu Lesern, kein Kontakt zu Bloggern. Immer wieder lese ich in der Presse und im Internet, dass die Verlage die Wichtigkeit von Buchbloggern und deren Einfluss auf die Leserschaft erkannt haben, aber an den Ständen der großen Verlagshäuser macht sich das nicht bemerkbar. Man sitzt zusammen, stößt hier und da mit einem Glas Sekt an und findet sich augenscheinlich großartig. Soweit mein subjektiver Eindruck.
Ganz anders bei den unabhängigen Verlagen: Dort habe ich erlebt, dass man um den Kontakt zu den Lesern bemüht ist und auch die Schwierigkeiten anspricht, unter denen dort gearbeitet wird. An mehreren Ständen habe ich mit Autoren und Verlegern sehr nette Gespräche geführt. Vielleicht ergibt sich daraus etwas Neues.
Als sehr kontaktfreudig habe ich auch die Mitarbeiter an den Ständen der Unis empfunden. Es ist ganz ungewohnt, gefragt zu werden, ob man etwas suche oder Hilfe benötige und auf Fragen kompetente Antworten zu bekommen.

Dieser Text ist am Morgen des dritten Messetages entstanden. Der Großraum Leipzig liegt unter einer geschlossenen Schneedecke, der Verkehr auf den Bundesstraßen und Autobahnen geht zum Teil im Schneckentempo oder oft auch gar nicht vorwärts. Mal sehen, wie es heute weitergeht. 

Freitag, 16. März 2018

# 140 - "The German" in den USA


Nichts wie weg aus Schleswig-Holstein



Joachim Meyerhoff schreibt in seinem Buch Alle Toten fliegen hoch - Teil 1: Amerika über sein Leben als Teenager Mitte der 1980er Jahre, als er als norddeutsches Landei nichts anderes will, als möglichst weit weg von zu Hause etwas völlig Neues zu machen. Dank einer Finanzspritze seiner Großeltern verbringt er als Achtzehnjähriger ein Jahr in den USA: bei Hazel und Stan, sehr religiösen Eltern von drei Söhnen, von denen einer noch bei ihnen lebt. Es verschlägt Meyerhoff nach Laramie im Bundesstaat Wyoming, eine Gegend, die nur aus Prärie zu bestehen scheint und wo die Fernsehsender tagein tagaus einen Western nach dem anderen senden. Diese Situation hat er in einem Moment der vermeintlichen Cleverness selbst herbeigeführt: Als er beim Auswahltermin der Austauschorganisation in Hamburg nach seinen Vorlieben gefragt worden war, hatte er versucht, so zu antworten, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit ausgewählt werden würde. Mit ihm hatten sich nur noch schnöselige Jugendliche aus wohlhabenden Elternhäusern beworben, die fast alle aus Hamburg kamen - der Stadt, die aus Sicht von Meyerhoff mit einem geheimnisvollen Großstadtflair umwabert war. Da konnte er nur noch punkten, wenn er das mutmaßliche Gegenteil dessen angab, was seine Konkurrenten ankreuzen würden: tiefe Religiosität, der Wunsch nach dem Leben auf dem Land und große Genügsamkeit. Die Tatsache, dass seine Englischkenntnisse nur lückenhaft waren, verschwieg er.

"The German" mitten im Kulturschock


In Amerika lernt er viel über die dortige Kultur kennen: Sport spielt eine sehr große Rolle, und er fühlt, dass er erst mit der Aufnahme in das Basketballteam seiner Schule richtig angekommen ist und akzeptiert wird, auch wenn der Spitzname "The German" an ihm klebt wie Kaugummi an der Schuhsohle. Er registriert die Selbstverständlichkeit von Waffenbesitz, und irritiert nimmt er die Begeisterung seiner Gasteltern für eine Familienserie zur Kenntnis, in der täglich ein vorher angekündigtes Essen zubereitet und von der TV-Familie überschwänglich gelobt wird - parallel wird diese Mahlzeit auch in seinem neuen Zuhause aufgetischt und entsprechend kommentiert. 
Meyerhoff lernt ein Mädchen kennen, macht erste Erfahrungen mit der Sexualität, freundet sich geduldig mit dem misstrauischen Pferd seines ihn quälenden Gastbruders an und fühlt sich mehr und mehr zugehörig und zuhause. Doch dann reißt ein Anruf seines Vaters ihn aus diesem neuen Leben: Sein mittlerer Bruder, der in Kürze mit seinem Medizinstudium beginnen wollte, ist bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Meyerhoff reist für die Beerdigung zurück nach Deutschland, schafft es aber nicht, seine Trauer zuzulassen. Nach wenigen Wochen reist er zurück zu Hazel und Stan, um sein Auslandsjahr fortzusetzen. Über den Kontakt zu einem seiner ehemaligen Lehrer in Laramie lernt er im örtlichen Gefängnis flüchtig den zum Tode verurteilten Doppelmörder Randy Hart kennen und verspricht ihm, ihm zu schreiben. Randy ist der Sohn eines US-Soldaten und einer Deutschen, hat die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht und wurde später als amerikanischer Soldat in Deutschland stationiert, wo er einen Tankwart und dessen Frau erschoss. Tatsächlich entwickelt sich daraus eine Brieffreundschaft, die Meyerhoffs Abreise aus den USA überdauert - auf Deutsch.
Zurück in Deutschland erlahmt der Eifer des Autors, Hart weiter zu schreiben. Er möchte keinen Kontakt mehr zu ihm und fühlt sich durch dessen alle paar Tage eintreffenden Briefe unter Druck gesetzt. Dann kommt jedoch ein Brief, der nichts anderes ist als ein Hilferuf: Hart bittet Meyerhoff um seine Unterstützung, weil in seiner Angelegenheit wohl eine Entscheidung bevorstehe. Schon eine Woche später steht Hart überraschend vor der Tür der Familie Meyerhoff in Schleswig-Holstein.


Lesen?

 

Das Buch ist am Anfang wegen der zahlreichen Rückblicke auf Meyerhoffs Leben als Kind etwas schleppend, sodass man sich fragt, ob und wann er wohl in diesem Buch endlich in den USA ankommen würde. Danach ist es in jeder Hinsicht emotional, ohne dabei aber in Gefühlsduselei abzugleiten: Meyerhoff schreibt über sich selbst mit viel Humor und reflektiert auch sein damaliges Unvermögen, mit dem Tod seines Bruders umzugehen. Völlig überraschend erhält er Unterstützung von einer unerwarteten Seite. Wie auch der hier schon vorgestellte zweite Teil der Buchserie mit dem Titel Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war ist auch dieser Roman eine gelungene Mischung aus Humor und Nachdenklichkeit.

Alle Toten fliegen hoch - Teil 1: Amerika ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet als Taschenbuch 10,99 Euro.

Freitag, 9. März 2018

# 139 - Ein Krimi, der nicht wirklich ein Krimi ist

Warum wird ein Mensch zum Mörder?

 

Diese Frage scheint zunächst eindeutig auf einen Krimi hinzuweisen, und auch die Autorin Irene Matt zählt ihr Buch Der Augenblick zu dieser Kategorie. Man kann das aber durchaus auch anders sehen.

Eine Leiche macht noch keinen Krimi

 

Irene Matts Roman ist von Tragik durchzogen: Renate Weiss ist eine junge, alleinstehende Frau, die erfolgreich in der Werbebranche arbeitet. Als Ausgleich zu ihrem stressigen Job geht sie regelmäßig in Herrischried in der Nähe von Waldshut im Schwarzwald joggen. Am Tag, an dem das Unglück seinen Lauf nimmt, ist es drückend heiß. Die junge Mutter Sybille Brüning fährt gerade ihren kleinen Sohn Marcel in seinem Kinderwagen spazieren, als sie sich völlig erschöpft an eine Böschung setzt und fast sofort einschläft. Wenige Minuten später passiert Renate Weiss den Kinderwagen, sieht in die blauen Augen des Babys und drückt ihm wie in Trance das Tuch aufs Gesicht, mit dem es zugedeckt ist. Als Renate wieder klar denken kann, entfernt sie das Tuch, kann sich aber an die letzten Momente nicht erinnern. Sie realisiert, dass das Baby nicht mehr lebt, gerät beim Anblick von dessen toten Augen in Panik und verscharrt es notdürftig in einem nahen Waldstück. Dann setzt sie ihre Laufrunde und auch ihr Leben fort, als wenn nichts passiert sei.
Die Kommissarin Alexandra Keller wird mit den Ermittlungen beauftragt, aber es gibt keine Spuren und keine Zeugen. Das Baby wird trotz einer umfangreichen Suchaktion nicht gefunden. Erst nach ein paar Tagen entdecken Kinder, die mit ihrer Oma im Wald Blaubeeren sammeln, zufällig die Leiche. Doch auch der Fund des toten Marcel bringt die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht weiter.

Ein Schlüsselerlebnis bringt die Wende

 

Renate Weiss schafft es, die grauenvolle Tat im hintersten Winkel ihrer Seele zu verschließen und ihr Leben wie gewohnt weiterzuführen. Nach einem Besuch bei ihrer Patentochter an Heiligabend verfährt sie sich auf dem Heimweg im Schneetreiben und sieht vor sich plötzlich die katholische Kirche von Todtmoos, in die Menschen zum Gottesdienst strömen. Renate entschließt sich spontan, an der Christmette teilzunehmen. Der Eindruck des Gottesdienstes legt in ihr einen Schalter um und sie beschließt, sich schon einen Tag später in Begleitung des Paters bei der Mordkommission zu stellen. Das, was einen Krimi typischerweise ausmacht, ist hier also zu Ende. Nun beginnt der psychologische Teil: Kommissarin Keller hat einen guten Kontakt zu ihrem Ausbilder Hermann Rau, einem Psychologen und Fallanalytiker. Keller erzählt Rau von Renate Weiss, die nichts von einer typischen Mörderin an sich hat. Er vermutet daraufhin, dass Weiss aufgrund einer schweren Traumatisierung die Tat begangen hat und  schlägt seiner Kollegin vor, Weiss und einige andere verurteilte Straftäter in eine besondere Studie einzubinden, die ein Jahr dauern soll. Dabei geht es Rau darum, die Menschen nicht in erster Linie an ihren Straftaten zu messen, sondern sie in ihrer Ganzheit zu sehen. Nachdem das Projekt vom Innenminister genehmigt worden ist, werden alle Teilnehmer für die Dauer der Studie in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Mithilfe eines Tagebuchs versucht Renate Weiss, sich nach und nach dem Kern ihres Problems zu nähern.

Wie war's?

 

Der Augenblick hat aus meiner Sicht zu wenige Elemente eines Krimis, um als solcher zu gelten. Es ist vielmehr eine Betrachtung der Psychotraumatologie, die in einen Roman gegossen wurde. Es geht einerseits um die patientenzentrierte Gesprächstherapie nach C. Rogers und andererseits um die tiefenpsychologischen Erkenntnisse des Psychoanalytikers Fritz Riemann, die im Laufe der Handlung erläutert werden. Das Buch wirkt auf mich, als hätte sich die Autorin nicht entscheiden können, ob sie eine Abhandlung oder einen Roman schreiben möchte. 
Manchen Passagen mangelte es an Glaubwürdigkeit: So spielt sich ein Teil der Handlung während der Gruppensitzungen in der psychiatrischen Klinik in von Alexandra Keller verfassten Sitzungsprotokollen ab. Diese sind jedoch nicht sachlich und knapp formuliert, wie es Protokolle normalerweise an sich haben, sondern wie ein Romantext mit wörtlicher Rede und den ebenfalls wörtlichen Gedanken der Teilnehmer. Auch an anderen Stellen hätte ich das Eingreifen eines Lektors begrüßt.
Insgesamt lässt sich der Titel gut lesen und vermittelt viel über die Psychotraumatologie, über die sich Irene Matt als Mediatorin und Telefon- und Krisenseelsorgerin sicher auch gut auskennt. Aber das Buch ist kein Krimi. Interessant ja, wirklich spannend nein.

Der Augenblick ist im Schardt Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 12,80 Euro. Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir das Buch zur Verfügung gestellt hat.

Freitag, 2. März 2018

# 138 - Märchenhafte Geschichte für alle

Warum werden die Uhren im Herbst umgestellt?

 

Die Familie Schina, bestehend aus den Eltern und der achtjährigen Lenka, ist fast ununterbrochen mit dem Zug unterwegs. Der Vater Leosch ist ein sehr kreativer Erfinder, und um seine Neuheiten verkaufen zu können, muss er sie seinen Interessenten direkt zeigen und vorführen. In der Zeit der Habsburgermonarchie, in der Der Mann in der Uhr von Vratislav Maňák spielt, war das Telefon der Gipfel der Telekommunikation. Im Augenblick ist die Familie dabei, ein zusammenklappbares Hotelzimmer in ganz Europa anzubieten. 
Lenka ist sehr aufmerksam, wissbegierig und genau. So kommt es, dass sie, als die Familie eines Tages auf dem Bahnhof von Böhmisch Mohnberg aus dem Zug steigt, bemerkt, dass mit der Bahnhofsuhr etwas nicht in Ordnung ist. 

Der menschliche Zeiger

 

Lenka hört über sich einen leisen Gesang, der eindeutig aus der großen Bahnhofsuhr mit ihren goldenen Zeigern kommt. Doch bei näherem Hinsehen bemerkt sie, dass der kleine Zeiger gar kein richtiger Zeiger ist: Uhrmachermeister Weiß hat dessen Stelle eingenommen, nachdem sein Konkurrent, der Uhrmachermeister Finster, ihn gestohlen hat. Finster tat es aus Rache, weil er den vom Bürgermeister ausgeschriebenen Wettbewerb um den Bau einer neuen Bahnhofsuhr gegen Weiß verloren hatte. Seit etlichen Jahren schon ersetzt der bestohlene Uhrmacher nun schon den fehlenden Zeiger, und sein Handwerkerstolz verbietet es ihm, seine mit viel Liebe und Aufwand hergestellte Uhr unvollständig zu lassen. Doch mit der pfiffigen Lenka kommt nun  Hilfe aus einer unerwarteten Richtung. Das Mädchen und der Uhrmacher versuchen, den gestohlenen Zeiger zurückzuholen und begeben sich dafür in große Gefahr. Dabei kommt ihnen eine andere praktische Erfindung von Lenkas Vater zu Hilfe.

Wie war's?

 

Der Mann in der Uhr ist eine Art Märchen, das sich sowohl für Kinder als auch für Erwachsene eignet. In der Handlung sowie in den sehr liebevoll gestalteten Illustrationen kommt deutlich der Jugendstil zum Ausdruck, der in dieser Zeit seine Hochphase hatte. Das Buch ist eine Mischung aus Krimi und Steampunk und schließt mit einer Erkenntnis, die der Uhrmachermeister Weiß aus den Erlebnissen mit Lenka gewonnen hat. Auch die Frage nach der Umstellung der Uhren wird beantwortet.

Vratislav Maňák wurde in Westböhmen geboren und hat Medienwissenschaften und Journalismus studiert. 2012 gewann er für sein erstes Buch den tschechischen Jiří-Orten-Literaturpreis.
Die Illustrationen stammen von Igor Kuprin. Kuprin hat in Hamburg Illustration studiert, seine Illustrationen sind in über einhundert Büchern sowie mehreren Zeitschriften veröffentlicht worden. 

Der Mann in der Uhr ist im Februar 2018 im Karl Rauch Verlag. Das gebundene Buch mit Lesebändchen kostet 16,-- Euro. 
Ich bedanke mich bei der Agentur Schwind Kommunikation, die mir den Titel zur Verfügung gestellt hat.