Samstag, 24. Februar 2018

# 137 - Unterwegs an der Algarve

Jetzt kommt Urlaubsstimmung auf

 

Ich habe den Frühling schon mal vorgezogen und war in Portugal. Genauer: an der Algarve, der Region am Atlantik, die pro Jahr von mehr als 3.000 Sonnenstunden verwöhnt wird. Keine Reise ohne einen Reiseführer. Seit vielen Jahren sind für mich die Baedeker-Reiseführer erste Wahl; wahrscheinlich auch deshalb, weil sie mir schon viele gute Tipps geben konnten und ich mich an das Schema gewöhnt habe. Ich habe mich diesmal für den Band Algarve aus der Reihe Baedeker SMART entscheiden. 

Klein und handlich, aber alles drin

 

Die Reihe SMART hat alles, was auch einen "normalen" Baedeker-Reiseführer ausmacht: Es gibt Routenvorschläge für Wanderungen, Fahrradtouren und Autofahrten, die Besonderheiten der einzelnen Regionen der Algarve werden vorgestellt und das Buch wartet auch diesmal mit vielen tollen Fotos auf. Natürlich fehlen auch Einkaufs-, Hotel- und Restauranttipps ebensowenig wie ganz praktische Hinweise. Auch der kleine Bruder des großen Reiseführers hat in einer Plastikhülle eine Reisekarte. Der große Unterschied zu einem klassischen Baedeker-Reiseführer ist allerdings, dass man schnell zum Punkt kommt: Es wird darauf verzichet, auch die klitzekleinste Sehenswürdigkeit bis ins Detail zu beschreiben; erfreulicherweise wird auch dezent darauf hingewiesen, wenn man sich eine touristische Attraktion sparen kann.
Ein paar Beispiele: Das Buch empfiehlt eine Autorundfahrt durch die Serra de Monchique. Wenn man sich von den Algarve-Stränden mal lösen will und das Hinterland kennenlernen möchte, ist der Ausflug in die portugiesische Bergwelt eine sehr gute Alternative. Im Frühling sind die Straßen dort kaum befahren, und man fährt gemächlich vorbei an verschlafenen, idyllisch gelegenen Dörfern, Orangenhainen, großen Gärten voller Korkeichen und Eukalyptusbäumen. Wer Lust hat, kann einen Abstecher zur Talsperre Barragem de Odelouca, dem größten See, und danach zum Fóia, dem mit 902 Metern höchsten Gipfel der Algarve, machen. 
Ein anderes sehr schönes Erlebnis, das der SMART-Reiseführer empfohlen hat: Wer die traditionelle portugiesische Musik Fado kennenlernen möchte, ist bei der Kulturvereinigung Fado com História bestens aufgehoben. In einem kleinen Raum in der Altstadt von Tavira an der Ostalgarve werden täglich mehrere Kurzkonzerte veranstaltet. Eine tolle Erfahrung. Der Fado zählt übrigens zu den imateriellen Weltkulturerben der UNESCO.

Wer nur wenig Zeit hat, die Algarve zu erkunden, ist mit den Vorschlägen für Kurztrips zwischen einem und drei Tagen bestens bedient.

Wie war's?

 

Der Reiseführer Algarve aus der Reihe Baedeker SMART ist perfekt, wenn man die wichtigsten Highlights nicht verpassen will. Seine Spiralbindung ist sehr praktisch: So bleibt das Buch dort aufgeschlagen, wo man es möchte.  

Der Reiseführer ist 2016 erschienen und kostet mit Spiralbindung 14,99 Euro und als E-Book (pdf) 11,99 Euro.

 

Dienstag, 20. Februar 2018

# 136 - So geht's zu in der EU

Deutscher Buchpreis für den Blick in das Innerste der EU

 

Robert Menasse wirft in seinem Roman Die Hauptstadt einen vielschichtigen Blick hinter die Kulissen der EU-Bürokratie. Wer bis jetzt noch glaubte, dass das bürokratische Handeln immer dem Wunsch nach einer gestärkten gemeinsamen Identität der Mitgliedsländer folgt, wird hier lesen, dass das nicht unbedingt so ist. 

Ein runder Geburtstag muss würdig gefeiert werden

 

Da sind sich bestimmt fast alle einig. Für die zypriotische EU-Beamtin Fenia Xenopoulou ist die EU-Verwaltung vor allem eines: die ideale Möglichkeit, es mit Fleiß und Kompetenz auf der Karriereleiter immer weiter nach oben zu schaffen. Sie hat eine erstklassige Ausbildung, sie ist zielstrebig, doch nun ist sie ausgerechnet in der Generaldirektion Kultur gelandet. Ihre neue Position als Leiterin der Kommunikation kann über die Bedeutung dieses Bereichs nicht hinwegtäuschen: unwichtiger ist keine andere der EU-Generaldirektionen. Doch als sie den Auftrag bekommt, sich etwas zu überlegen, das das in der Öffentlichkeit ramponierte Image der EU aufpoliert, greift sie die Idee ihres Mitarbeiters Dr. Martin Susman auf: Der 60. Geburtstag der EU-Kommission steht bevor, und da es sich um eine sinnstiftende Idee handeln soll, die die Bürger aller Mitgliedsstaaten anspricht, schlägt Susman eine Aktion vor, die in Zusammenhang mit der Überwindung des Holocausts steht. Dabei soll die KZ-Gedenkstätte in Auschwitz im Mittelpunkt stehen: Hinter dem Wunsch, das Martyrium zu überleben, traten damals alle Unterschiede, die es zwischen den Inhaftierten gab, zurück. Herkunft und Religion spielten dort keine Rolle mehr. Auf der Grundlage dieser Erfahrung und der allgemein akzeptierten Einsicht, dass sich das, was in Auschwitz und allen anderen Konzentrationslagern geschehen ist, nicht wiederholen darf, wurde eine Einigung Europas erst möglich. Im Kern geht es also um die Überwindung eines Nationalgefühls zugunsten des Bewusstseins, dass die Bürger der Mitgliedsstaaten sich in erster Linie als Europäer sehen sollen. 
Die Planung kommt ins Rollen, doch der Fortgang in einem so großen Koloss wie der EU-Administration ist ein anderer, als es sich Xenopoulou und Susman vorgestellt haben. Der Vorschlag entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Desaster.

Ein mysteriöser Mord, ein KZ-Überlebender und ein aus der Zeit gefallener Professor

 

Etwa zeitgleich mit dem Beginn der Überlegungen zum Kommissionsjubiläum wird im Brüsseler Hotel Atlas ein ausländischer Gast ermordet. Kommissar Brunfaut nimmt die Ermittlungen auf, wird aber kurz darauf vom Staatsanwalt abrupt ausgebremst: Er weist ihn an, den Fall ruhen zu lassen und schickt ihn in einen mehrwöchigen Urlaub. Das ist auch für Brüsseler Verhältnisse ungewöhnlich. Brunfaut stellt nach seiner Rückkehr fest, dass alle Informationen, die er zu diesem Fall gespeichert hatte, gelöscht wurden. Auch in den Zeitungen steht kein  Wort hierüber. Es ist, als hätte es den Toten nie gegeben. Doch die Neugier treibt ihn an, mithilfe seines besten Freundes heimlich weiter zu ermitteln. Was dann passiert, lässt sein Misstrauen, das er berufsmäßig gegen viele Menschen hat, nun auch gegen den besten Freund gedeihen.

Zum Zeitpunkt des Mordes wohnt auch der emeritierte Professor Alois Erhart im Hotel Atlas. Er ist nach Brüssel gereist, um sich an einem Think-Tank der EU-Kommission zu beteiligen, der sich mit der Zukunft Europas befasst. Er merkt schnell, dass es den anderen Mitgliedern nicht in erster Linie um die gemeinsame europäische Idee, sondern um sich selbst geht. Ihre Denkmuster verlaufen in eingefahrenen Bahnen, sodass Erhart einen Vortrag hält, der die Teilnehmer zum Umdenken bewegen soll, ihn aber gleichzeitig aus ihrer Mitte katapultiert.

Aus dem Haus gegenüber dem Hotel beobachtet David de Vriend, dass die Polizei vor dem Hotel Atlas vorfährt. Es ist der letzte Moment, den er nach sechzig Jahren in seiner Wohnung verbringt. Die Räume sind bereits leer, jetzt steht der Umzug in ein Altenheim an. De Vriend ist ein ehemaliger belgischer Widerstandskämpfer, der im letzten Moment aus einem Deportationszug springen konnte, der seine gesamte Familie in den Tod fuhr. Er hat eine spätere Haft in Auschwitz überlebt und versuchte sein Leben lang, das Erlebte zu vergessen. David de Vriend ahnt nicht, dass die Generaldirektion Kultur auf der Suche nach Auschwitz-Überlebenden ist und ihm nach und nach auf die Spur kommt.

Und dann ist da noch das Schwein. Es ist plötzlich da, wird in verschiedenen Stadtteilen Brüssels gesehen und bewegt die Lokalpresse. Das Tier soll aber nicht der Running Gag sein, der sich durch das ganze Buch zieht, sondern steht für ein Gut, das quasi quer durch die ganze EU verwaltet wird: Von seiner Geburt bis zur Schlachtung und dem Verzehr ist immer eine andere EU-Verwaltungseinheit für es zuständig. Nicht zuletzt steht das Schwein als Metapher für etliche schweinische Zustände, vom "Glücksschwein" bis zu "saudumm".


Lesen?

 

In Die Hauptstadt beschreibt Robert Menasse die EU mit einem Spektrum von kritisch bis amüsiert. Letztlich arbeiten auch dort nur Menschen mit individuellen Hoffnungen, Wünschen und Bedürfnissen und es wird wie überall nur mit Wasser gekocht. In seinem Buch wird jedoch auch deutlich, dass es mit dem hehren Ziel, dass sich die Europäer irgendwann von ihrem Leuchtturmdenken lösen und ihre Zukunft europäisch ausrichten werden, noch nicht so weit her ist. Das erleben wir gerade aktueller, als es uns lieb ist: So manchem EU-Staatschef ist das Hemd näher als der Rock. Warum? Darüber kann nur spekuliert werden.

Die Hauptstadt ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24,-- Euro, als epub- oder Kindle-Edition 20,99 Euro sowie als Hörbuch (MP3-CD) 13,99 Euro. Ich bedanke mich beim Suhrkamp Verlag, der mir das Buch zur Verfügung gestellt hat. Mehr Informationen und Meinungen über das Buch gibt es unter Suhrkamp Verlag.
 

Montag, 19. Februar 2018

Buchkäufe ohne Amazon

Neues Affiliate-Programm kommt stationärem Buchhandel zugute

 

Wer sich durch die vielen Buchblogs liest weiß, dass zahlreiche Blogger am Ende ihrer Rezension direkt zu Amazon verlinken. Die Vorbehalte, die Amazon entgegengebracht werden, sind bekannt: Das Unternehmen drückt sich vor dem Zahlen von Steuern, beutet seine Mitarbeiter aus und nutzt in der Hauptumsatzzeit vor Weihnachten die Arbeit von tausenden schlecht bezahlten Saisonarbeitern dazu, die Löhne der ersten Wochen vom Staat bezahlen zu lassen. "Trainingsmaßahme" heißt so etwas dann im Volksmund und hat eigentlich das Ziel, Arbeitslose an eine reguläre Berufstätigkeit heranzuführen und ihnen so eine berufliche Eingliederung zu ermöglichen. Amazons Saisonarbeiter sehen nach sechs Wochen allerdings die Tür von draußen.
Alles in allem kann man dieses Gebaren durchaus so bewerten, dass sich Amazon Marktvorteile gegenüber seinen Mitbewerbern verschafft, die wir Steuerzahler ungewollt finanzieren und die über kurz oder lang den Einzelhandel platt machen. In den USA gibt es längst ganze Landstriche, in denen es weit und breit keinen Buchladen mehr gibt. 
Die Hinwendung zu Amazon bedeutet für Kunden: keine persönliche Ansprache mehr, kein Service wie z. B. eine Beratung oder das Einpacken eines Buches als Geschenk - dies wird in den meisten Buchhandlungen gratis gemacht, bei Amazon kostet es für ein Buch derzeit 2,99 Euro. Die Liste lässt sich fortsetzen, aber ich glaube, es ist deutlich geworden, dass ich einen Bogen um Amazon mache und meine Bücher im stationären Buchhandel kaufe. Das ist seit Kurzem noch komfortabler geworden.

Mit LChoice geht es direkt zum Buchhändler

 

Unter www.lchoice.de lassen sich insbesondere Bücher bequem per Internet beim Lieblingsbuchhändler kaufen - per App, über die Homepage oder mittels der Werbemittel der Verlage. Dem Kunden soll es dabei so einfach wie möglich gemacht werden. Den angeschlossenen Händlern wird mit LChoice eine Plattform geboten, die sich ansonsten nur sehr große Firmen leisten können. Die Registrierung ist für Buchhändler und Blogger kostenfrei. Buchhändler zahlen 3 % des Umsatzes für die Auftragsabwicklung; werden keine Umsätze getätigt, entstehen also auch keine Kosten. Sofern Blogger ausschließlich LChoice als Affiliate-Programm nutzen, erhalten sie bei jedem über ihren Blog getätigten Kauf  10 % vom Umsatz, ansonsten immerhin 8 %. Bislang sind nach Angaben des Anbieters 500 stationäre Buchhändler aus Deutschland und Österreich sowie 25 Verlage gelistet, darunter Diogenes und Langenscheidt. Auch 50 Blogger machen bereits mit.  Die Anmeldung für Buchhändler und Blogger ist unter https://portal.lchoice.de/ möglich.
LChoice hat sein Angebot 2013 ausschließlich mit Büchern gestartet und bietet seit 2017 auch Produkte anderer Branchen an. Es ist zu hoffen, dass diese Plattform erfolgreich bestehen kann.

Samstag, 10. Februar 2018

# 135 - Werden wir fremdgesteuert?

Neun Monate, in denen Deutschland kollabiert

 

In seinem Roman Mutwille schildert Kai Lüdders, wie ein demokratisches Land in kurzer Zeit in den gesellschaftlichen und politischen Abgrund geführt werden kann. 

Lobbyismus als schicksalhafte Kraft 



Paul Schneider arbeitet als Lobbyist für das Gesundheitsunternehmen Unity Medical Care (UMC) und wurde von dessen Chef Norman Bruckheimer persönlich eingestellt. Paul ist ehrgeizig und hat kein Verständnis für Menschen, die sich nicht fit halten, sondern ihre Gesundheit mit ihrem Lebensstil ruinieren. Für seinen Arbeitgeber verfolgt er das Ziel, die Deutschen zu einem gesundheitsbewussten Volk zu erziehen. 
Bruckheimer ist von der skrupellosen Sorte und treibt Paul zu immer neuen Aktionen an. Drei Wochen vor der Bundestagswahl nimmt Paul mit Peters, dem Vorsitzenden der noch jungen "Partei für Gesundheit und Ordnung" (PGO), Kontakt auf. Die PGO dümpelt zu diesem Zeitpunkt noch bei einer Zustimmungsquote von 5 %, aber Paul will Peters davon überzeugen, mit ihm und UMC eine erfolgreiche Zusammenarbeit einzugehen. Wer könnte da widerstehen? Gern lässt sich Peters beim Wahlkampf unter die Arme greifen, zumal die politische Arbeit für ihn nichts mit dem Wunsch nach einer gesellschaftlichen Veränderung zu tun hat, sondern die Partei nur Mittel zum Zweck ist: Peters hat bereits unternehmerisch versagt und will nun endlich mit der PGO Bedeutung erlangen und auf der politischen Bühne stehen.
Doch auch David Braun spielt in diesem Buch eine Rolle: Er ist Forscher beim Allgemeinen Entwicklungsinstitut für Krankheitsforschung (AEIK) und Mitarbeiter des allseits geachteten Prof. Teighaus. Ihm fallen zunächst die überdimensionierten Wahlplakate der PGO und kurz darauf die praktisch aus dem Boden schießenden Krankenhausneubauten des UMC auf. Zunächst kann er keinen Zusammenhang erkennen, doch das soll sich bald ändern.

 

Eine todbringende Seuche bricht über das Land herein


Praktisch aus dem Nichts bricht in Deutschland eine Lassa-Epidemie aus. Eine Heilung scheint nicht möglich zu sein, da es sich um ein mutiertes Virus handelt, für das noch kein Gegenmittel entwickelt worden ist. Die Zahl der Erkrankten steigt ständig, und schnell sind die Schuldigen ausgemacht: afrikanische Einwanderer. Für die Bevölkerung ist nicht erkennbar, was sich hier tatsächlich abspielt, aber eins ist klar: Alle, die Ähnlichkeit mit einem Afrikaner haben, haben auf Berlins Straßen nichts mehr zu lachen. Nur eine Handvoll Menschen weiß, was tatsächlich hinter dieser Epidemie steckt. Einer von ihnen ist  Paul Schneider, dem fast jedes Mittel recht ist, um in einem Staat zu leben, in dem die Gesundheit über alles geht. Dafür ist er bereit, alle seine moralischen Grundsätze über Bord zu werfen. In den Nachrichten ist bald von nichts anderem mehr die Rede als von der Epidemie, die "Breaking News" melden immer neue Horrorzahlen. Schnell macht die Meldung die Runde, dass bereits viereinhalb Millionen Menschen in Deutschland an Lassa erkrankt sein sollen. Die gesellschaftliche und politische Situation gerät außer Kontrolle, und UMC ergreift die günstige Gelegenheit, sich die Sendergruppe TeleDeutschland unter den Nagel zu reißen. Nun kann der stetig wachsende Konzern sein Aktionsfeld noch weiter vergrößern, während das öffentliche Leben praktisch zum Erliegen gekommen ist. Dass auch die politischen Mandatsträger angesichts der dramatischen Entwicklung im Land nicht ungeschoren davonkommen, ist klar. Letztlich bemerken viele der für den Fortgang des Romans wichtigen Personen zu spät, dass sie schon lange keine selbstständig Handelnden mehr sind, sondern nur Spielfiguren, die wie auf einem Schachbrett hin und her geschoben werden.

Wie war's?

 

Mutwille hat mich wegen seiner Thematik gereizt: Wie würde Kai Lüdders mit einem solchen Krisenszenario, das ganz Deutschland in den Zusammenbruch führt, umgehen? Würde es ihm gelingen, eine schlüssige und überzeugende Story rund um diesen Plot aufzubauen? Das Buch beginnt mit einer Szene, die einen Teil des Endes vorwegnimmt: Paul Schneider ist auf der Flucht und in so großer Not, dass er nicht zögert, auf seine Verfolger zu schießen. Damit ist nach zweieinhalb Seiten klar, dass sein Plan nicht funktioniert. 
Es gibt noch weitere Inhalte, die an der Glaubwürdigkeit des Buches kratzen: Innerhalb von drei Tagen soll sich die gesamte Bevölkerung in Arztpraxen und Krankenhäusern melden, um sich einem Lassa-Test zu unterziehen. Wie das bei 82 Millionen Menschen in diesem kurzen Zeitraum gehen soll, kann ich nicht nachvollziehen und wird auch nicht erklärt. Auch die Folgen, die eine solche Massendiagnostik für "normale" Patienten und das medizinische Personal haben würde, werden nicht thematisiert. Dass das Lassa-Virus außerdem nur in Speziallaboren, von denen es in Deutschland nur drei gibt, diagnostiziert werden kann, ist da nur eine Randerscheinung der Ungereimtheiten. 
Die Schilderung der Szenen rund um den Lassa-Ausbruch ist ebenfalls nicht stimmig: Die Menschen hamstern Vorräte und vor den Tankstellen bilden sich lange Autoschlangen, aber auf den Straßen ist es wie ausgestorben? Auch der Umstand, dass Lassa eine meldepflichtige Erkrankung ist und ihr Ausbruch von Gesundheitsbehörden erfasst und bekanntgegeben wird, spielt hier keine Rolle. Eine Unterstützung von Hilfsorganisationen, Nachbarstaaten oder gar der EU oder der WHO gibt es hier ebenfalls nicht. Da Mutwille jedoch in Deutschland spielt und der Fokus auf Berlin liegt, können die hiesigen Gegebenheiten auch für eine Dystopie nicht ignoriert werden.
Leider leidet der Roman auch unter einem mangelhaften Lektorat und Korrektorat, was den Lesefluss abbremst.  

Mutwille wurde mir von der Agentur Literaturtest zur Verfügung gestellt, wofür ich mich bedanke. Das Buch ist beim Velum Verlag (er wurde für dieses Buch gegründet) als Taschenbuch für 11,99 Euro und bei tredition als gebundene Ausgabe für 22,99 Euro erhältlich.
Von Literaturtest erhielt ich kürzlich die Nachricht, dass der Roman nachgedruckt wird, weil er zu viele Fehler enthält. Welche Fehler dabei korrigiert werden, ist mir nicht bekannt.

 

Freitag, 2. Februar 2018

# 134 - Wer kreuzigt einen Hund?

Der Beginn einer Krimireihe mit Kommissar Henry Frei

 

Der Mord an der Ehefrau eines konservativen und moralisierenden TV-Pfarrers ist der erste Einsatz für das Berliner Ermittlerduo Henry Frei und Louisa Albers im Krimi Böses Kind des bekannten Autors Martin Krist. Doch die Tat wird schon bald von neuen Ereignissen überlagert: Ihr Kollege Charlie ruft sie in die Stadtteilbibliothek, die gerade umfassend saniert wird. An einer ihrer Mauern wurde ein toter Hund gefunden - schwer misshandelt und anschließend gekreuzigt. Doch so abscheulich die drei Polizisten diese Tat finden, es ist kein Fall für die Mordkommission. 
Das wird es erst, als Susanne Pirnatt, eine heillos überforderte alleinerziehende Mutter von drei Kindern, ihre 14jährige Tochter Jacquie bei der Polizei als vermisst meldet. In der Bibliothek wurde zwischenzeitlich ein Toter gefunden - in einer gekreuzigten Haltung eingemauert in den Hohlraum einer Wand. Neben ihm wurde ein Rucksack gefunden, der der gesuchten Jacquie gehört. Nun sind die Ermittler alarmiert.

Ein Krimi mit mehreren Handlungssträngen

 

Auch wenn der Fall der verschwundenen Vierzehnjährigen in Böses Kind den Hauptteil der Handlung ausmacht, gehen die Ermittlungen wegen des Mordes an der Pfarrersgattin weiter. Auch hier schält sich ein Verdächtiger heraus, am Ende des Buches wird jedoch durch eine weitere Tote ein Cliffhanger erzeugt, der auf den nächsten Krimi mit Harry Frei hinweist.
Durch die Handlung mäandert jedoch noch ein weiterer Fall: Vor vierzehn Jahren verschwand Alanna, die Tochter von Freis Freund und ehemaligem Chef Oskar Marek, spurlos. Seitdem ermittelt Marek auf eigene Faust. Da ihr Name als Untertitel von Böses Kind geführt wird, ist in den nächsten Frei-Krimis vermutlich noch mehr darüber zu lesen.    

Wie war's?

 

Böses Kind ist ein spannender und rasanter Krimi, der sein Tempo unter anderem durch die schnellen Szenenwechsel erhält. Die Hauptfiguren Susanne Pirnatt und die Ermittler Frei und Albers werden glaubwürdig und authentisch gezeichnet. Die beiden Beamten werden nicht als Super-Cops, sondern mit ihren Stärken und Schwächen sowohl im Privatleben als auch im Beruf beschrieben. Das wird es auch in den folgenden Krimis erleichtern, sich mit ihnen zu identifizieren.

Böses Kind ist bei epubli erschienen und kostet als Taschenbuch 9,99 Euro sowie als epub- oder Kindle-Edition 3,99 Euro. Das Buch wurde mir als E-Book von Netgalley zur Verfügung gestellt. 

Noch mehr von Martin Krist gibt es hier mit der Rezension seines Thrillers Brandstifter