Freitag, 29. Dezember 2017

# 130 - Was gibt's Neues?

Dinge aus einer anderen Perspektive sehen

 

Das Lesebuch Denkanstöße 2018 von Isabella Nelte habe ich buchstäblich im Vorbeigehen gekauft, als ich in "meinem" Buchladen andere bereits bestellte Bücher abgeholt habe. Mich hat interessiert, was die Literaturwissenschaftlerin Nelte für wichtig halten würde und wessen Texte sie ausgewählt hat.

Was war? Was ist? Was kommt?

 

Das Buch ist zwar nicht nach diesen drei Fragen unterteilt, aber grundsätzlich ist das seine Struktur. Der Hamburger Professor Markus Friedrich macht sich um die historische Rolle der Jesuiten und ihre innere Zerrissenheit Gedanken, und Lothar Gall beschäftigt sich mit der Rolle des kurhannoverschen Reformers und Staatsmanns Karl August Fürst von Hardenberg. Was jetzt "trocken" erscheint, ist es nicht: In beiden Texten wird anschaulich erläutert, welche Schwierigkeiten jeweils vor dem Hintergrund der damaligen Umstände und Gepflogenheiten bewältigt werden mussten und wie dies gelang - oder auch nicht.
Im Abschnitt Gesellschaft und Psychologie beschreibt der Philosoph und Schriftsteller Michael Schmidt-Salomon, was zum zivilisierten Streiten gehört. Sehr interessant ist hier seine Unterscheidung von Toleranz und Akzeptanz und die Überlegung, wo die Toleranz (die Fähigkeit, eine Last zu erdulden) ihre Grenzen hat oder haben sollte. Das ist ein Thema, bei dem es aktuell in vielen Diskussionen heiß hergeht.

Wie sollte der Mensch sterben? Und was macht die Vergangenheit mit uns?

 

Mit einem heiklen Thema beschäftigt sich der Anästhesist Matthias Thöns, der als Palliativmediziner tätig ist. Er prangert den Umgang mit Menschen in ihrer allerletzten Lebensphase an: Viele Todkranke werden mit quälenden Methoden der Hightech-Medizin am Leben gehalten, anderen werden komplizierte und schmerzhafte Eingriffe zugemutet - all das, weil eine Patientenverfügung, die den Willen eines Menschen dokumentiert, fehlt und Krankenhäuser ihre Technik auslasten wollen.

Die Publizistin Andrea Senfft beschäftigt sich mit der Frage, warum selbst Erlebtes aus der Zeit des Dritten Reichs als Tabu gilt und was das Schweigen der Mitläufer (oder Täter) bei den Angehörigen bis hin zu den Enkeln bewirkt. 

In einem weiteren Text des Publizisten Helge Hesse geht es um die Freundschaft zwischen dem Ökonomen John Maynard Keynes und dem Philosophen Ludwig Wittgenstein; in ihren Begegnungen befassten sie sich immer wieder mit den großen Fragen des Lebens. Die beiden Wissenschaftler gingen mit der Frage nach dem Sinn ihres Lebens allerdings sehr unterschiedlich um.

Aber auch die Leser, die sich für die Zukunft und technische Entwicklungen interessieren, kommen nicht zu kurz: Prof. Metin Tolan, der an der Technischen Universität Dortmund Experimentelle Physik lehrt, setzt sich mit der Technik der STAR TREK-Filme auseinander und überprüft, ob das, was dort gezeigt wird, im 23. oder 24. Jahrhundert Wirklichkeit werden kann oder sogar schon geworden ist. Da geht es um das künstliche Herz von Captain Jean-Luc Picard, den VISOR des Chefingenieurs Lieutenant Commander Georgi La Forge oder die Frage, warum Spocks Adern so blau erscheinen wie bei einem Menschen, obwohl er kein rotes, sondern grünes Blut hat.

Wie war's?

 

Denkanstöße 2018 gibt unterschiedliche Einblicke in sehr verschiedene Gebiete und überzeugt nicht zuletzt durch die Kompetenz der Autoren. Wer sich mit ungewöhnlichen Themen beschäftigen möchte, dem wird dieses Buch gefallen.

Denkanstöße 2018 ist beim Piper Verlag als Taschenbuch erschienen und kostet 9,-- Euro.  

Freitag, 22. Dezember 2017

# 129 - Der Alptraum von Pauschaltouristen lauert in Kirgisistan

Wellblech, Pferde und ganz viel Landschaft

 

In dem Buch Ohne Plan durch Kirgisistan des Journalisten Markus Huth vereint sich so einiges: sowohl der größte anzunehmende Unfall für Fans von durchorganisierten Pauschalreisen als auch die Erfüllung aller Träume für abenteuerlustige Backpacker. Huth gehört ganz klar zur zweiten Kategorie, als er in einer Lebenskrise auf das Angebot seines österreichischen Freundes Franz eingeht, einen Monat lang auf eigene Faust zusammen Kirgisistan zu erkunden. Er erhofft sich auch, nach der Reise zu wissen, wie es mit seinem Leben, das in einer Sackgasse angekommen zu sein scheint, weitergehen soll. 
Kirgisistan ist von drei weiteren -stan-Staaten (Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan) und China eingekreist, von denen man immer mal wieder Meldungen in den Nachrichten hört. Meistens solche, die etwas mit Waffen oder Aufständen zu tun haben. 
Die Reisevorbereitung beschränkt sich auf die Buchung der Flugtickets nach Bischkek und das Packen des Nötigsten. Das war's. Kein Smartphone, kein Tablet. Das Auswärtige Amt warnt nicht nur davor, in Kirgisistan im Dunkeln zu Fuß unterwegs zu sein, sondern weist auch auf die Aktivitäten von terroristischen islamischen Gruppen hin. Aber die beiden kann das nicht beirren, und sie treten ihre Reise an.

Touristische Sehenswürdigkeiten? Reichlich, aber anders

 

Die Hauptstadt Bischkek wird im Reiseführer als frei von Sehenswürdigkeiten beschrieben, aber der Ala-Too-Platz mit seinen sozialistischen Monumentalbauten und Statuen des Volkshelden Manas sowie des kirgisischen Schriftstellers Tschingis Aitmatow zieht die Menschen an. Die beiden Reisenden sind auf der Suche nach dem wahren Kirgisistan, aber hier finden sie nicht das, was sie erhofft haben. 
Mit den unterschiedlichsten Fortbewegungsmitteln setzen sie in den folgenden Wochen ihre Reise fort: In einem engen Minivan kommen sie den Mitfahrern sehr nah und erfahren, dass der traditionelle Brautraub immer noch üblich ist. Junge, hübsche Frauen im heiratsfähigen Alter werden entführt, zu einer vorbereiteten Hochzeitsfeier gebracht und sind schneller unter der Haube, als sie ihren Namen sagen können. Huth steigt zum ersten Mal in seinem Leben auf ein Pferd, das er wegen dessen unaussprechlichen kirgisischen Namens Alf nennt, und wandert mehr, als er es gewohnt ist, um auch die letzten landschaftlichen Highlights kennenzulernen. 

Was ist das Beste an Kirgisistan?

 

Für Markus Huth ist die Sache klar: Die raue Landschaft mit ihren klaren Seen und den schneebedeckten Bergen des Tian-Shan-Gebirges hat es ihm angetan. Er ist vom riesigen Bergsee Yssyköl ebenso beeindruckt wie von der Umgebung des Kurorts Altyn-Araschan. Die Städte, die er mit seinem Freund kennenlernt, versprühen eher postkommunistischen Charme: Löchrige Straßen und Zäune und Dächer aus Wellblech machen einen ziemlich desolaten Eindruck. Doch sie machen fast immer gute Erfahrungen mit den Menschen: Sie finden in jedem Ort eine Unterkunft - auch mal in einer plüschigen Porno-Villa - und Einheimische, die ihnen weiterhelfen. Huth und seinem Freund kommt zugute, dass sie beide sehr gut Russisch sprechen; mit Englisch kommt man in Kirgisistan keine zehn Meter weit. Am Schluss ihrer Reise machen Huth und sein Begleiter einen Abstecher in das Dorf Rot-Front, das von Deutschen gegründet wurde. Dieses merkwürdige Erlebnis werden sie sicher nicht vergessen.

Wie war's?

 

Ohne Plan durch Kirgisistan hat mir sehr gut gefallen. Markus Huth erzählt seine Erlebnisse in einem sehr unterhaltenden Tonfall und vermittelt seinen Lesern nebenbei allerhand Wissenswertes über dieses Land, das viele von uns nicht auf Anhieb auf der Landkarte finden würden. Man reist im Geiste mit und ist gespannt, was den beiden Freunden auf der nächsten Seite passiert. In der Mitte befinden sich 27 Farbfotos, die das Gelesene anschaulich machen.
Wenn es etwas an diesem Buch zu kritisieren gibt, dann den Umstand, dass Huth einzelne geschichtliche Hinweise mehrfach gibt. Aber das fällt angesichts des ansonsten sehr positiven Leseeindrucks nicht ins Gewicht.
Ohne Plan durch Kigisistan ist im Penguin Verlag erschienen und kostet broschiert 13,-- Euro sowie als epub- oder Kindle-Version 9,99 Euro.  
Das Buch wurde mir vom Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.

Freitag, 15. Dezember 2017

# 128 - Wenn das Leben kopflos endet

Heile Welt in Berlin-Charlottenburg

 

Valentina und Georg leben mit ihren kleinen Kindern Mia und Lennard harmonisch in einer Villa und müssen sich weder um ihre eigene Zukunft noch die ihrer Kinder Sorgen machen. Auch der Morgen, an dem die Handlung des Thrillers Brandstifter von Martin Krist beginnt, ist einer von der Sorte, über die man sagen könnte "besser geht's nicht". Georg ist ein erfolgreicher Unternehmer und steht auch diesmal im Gegensatz zu seiner Frau früh auf, um am heimischen Schreibtisch Unterlagen zu bearbeiten. Als Valentina nach einer halben Stunde nach ihm sieht, findet sie ihren Mann tot im Arbeitszimmer vor: enthaupet, den Kopf auf der Schreibtischplatte abgelegt, die Zunge daneben auf einem Papierstapel.

Kein Stein bleibt auf dem anderen

 

Es ist schnell klar, dass Valentina und ihre Kinder ebenfalls in Gefahr sind, doch ihr und allen, die Georg gekannt haben, ist schleierhaft, welchen Grund es gegeben haben könnte, ein angesehenes Mitglied der Berliner Gesellschaft, das augenscheinlich keine Feinde hatte, auf so grausame Weise hinzurichten. Auch Valentina gerät in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen und wird noch dazu mit dem Verrat eines ihr nahestehenden Menschen belastet.

Das Buch erzählt parallel auch die Geschichte von Luka, der mit seiner Uni-Liebe Nati verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder hat. Luka ist der Typ Mensch, dem man ständig raten möchte, seinen Verstand einzuschalten und sich nicht ständig von Impulsen leiten zu lassen. Er schlittert auf der Suche nach einem Job in kriminelle Machenschaften, aus denen er nur herauskommt, wenn er im Auftrag größerer Krimineller weitere Straftaten begeht. Zumindest glaubt er das. Er sieht in der zufälligen Begegnung mit einem früheren Kommilitonen einen Silberstreif am Horizont, der es ihm und seiner Familie ermöglichen soll, ein sorgenfreies Leben zu führen. Aber es kommt alles ganz anders, als er es sich vorgestellt hat: für ihn, Nati und die Kinder und auch für den ehemaligen Studienfreund. Nach und nach wird immer klarer, dass es eine Verbindung zwischen seinem Schicksal und dem von Valentina und Georg gibt.
Mittendrin ist der Privatermittler David Gross, der mit der Suche nach einem Augsburger Wissenschaftler beauftragt wird, der in Berlin am Rande einer Tagung spurlos verschwunden ist. Auch dieser Fall wird immer mysteriöser und am Ende steht die Erkenntnis, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Die Figur des David Gross wird als sehr zerrissen dargestellt. Der Ermittler hat mit Ereignissen aus der Vergangenheit zu kämpfen, aufgrund derer seine Frau entführt und bislang nicht gefunden wurde. Was es damit genau auf sich hat und warum Gross' Sohn im Rollstuhl sitzt, erschließt sich wohl erst, wenn man den Thriller Drecksspiel gelesen hat, der 2013 erschienen ist.

Lesen?

 

Ja! Brandstifter ist ein spannend gemachter und gut geschriebener Krimi, der seine Leser durchgehend bei der Stange hält. Hinter dem Pseudonym Martin Krist steckt der erfolgreiche Buchautor und frühere Journalist Marcel Feige, dessen Schreiberfahrung aus verschiedenen Genres sich in diesem Buch niederschlägt.

Brandstifter ist als Taschenbuch bei epubli erschienen und kostet 11,99 Euro. Es wurde mir von Indie Publishing zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke. 

Freitag, 8. Dezember 2017

# 127 - Fake News und Lügenpresse - Was ist dran?

Was sind unsere Medien noch wert?

 

Der Professor für Journalistik und Medienmanagement Stefan Russ-Mohl macht sich in seinem Buch Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde über die Entwicklung Gedanken, die Zeitungen, Fernsehsender und das Internet in den letzten Jahren durchgemacht haben. 

Wie wichtig ist die Wahrheit?

 

Die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Medien fühlen sich der Wahrheit verpflichtet. Alle weisen weit von sich, absichtlich Falschmeldungen in die Welt zu setzen. Die Absicht, die Leser, Zuschauer und Internetnutzer immer möglichst gut zu informieren, spricht Russ-Mohl ihnen auch nicht ab. Aber er wirft ihnen vor, auf der Jagd nach der neuesten Nachricht und mit dem Wunsch, immer ein kleines bisschen schneller zu sein als die Konkurrenz, ein Stück des Wahrheitsanspruchs über Bord geworfen zu haben. Etwas, was schnell gemeldet werden soll, kann nicht mehr gründlich überprüft werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Nachrichten - wahre und falsche - durch die zunehmende Digitalisierung deutlich schneller verbreiten als noch vor ein paar Jahren.

Aber der Autor zeigt auch, dass sich die Mediennutzer gern auch mal an die eigene Nase fassen dürfen, ehe sie stetig "Lügenpresse" skandieren. Die sozialen Medien im Internet laden dazu ein, Meldungen ungeprüft mit einem "Like" zu bewerten und binnen Sekunden weiter zu verbreiten. Sehr oft gilt: Es wird für wahr gehalten, was bereits viele andere Nutzer für wahr halten, auch wenn es das nicht ist. Russ-Mohl zitiert hier die für die Neue Zürcher Zeitung schreibende Journalistin Sieglinde Geisel, die für dieses Verhalten den Begriff der "Schwarmdummheit" verwendet. 

Doch der Journalismus krankt noch an etwas anderem: Die "Geiz-ist-geil"-Mentalität hat auch dazu geführt, dass die Nutzer erwarten, aktuelle und selbstverständlich wahre Nachrichten zum Nulltarif zu erhalten. Dass hinter jeder belastbaren Meldung eine Recherche steckt, die mitunter sehr aufwendig sein kann, und Menschen dafür bezahlt werden und davon leben wollen, scheint die Konsumenten nicht zu interessieren. Tatsächlich glauben viele daran, dass gute Nachrichten umsonst zu haben sind. Russ-Mohl zeigt auf, dass dies ein Irrtum ist: De facto ist keine Meldung gratis. Aber der primäre Einfluss auf die Nachrichten geht immer weniger von den Verlagen oder Sendern selbst aus, sondern verlagert sich in eine Richtung, die uns nicht gefallen kann, wenn uns Wahrheit und der Erhalt der Demokratie auch in Zukunft wichtig sind.

Wir haben es in der Hand

 

Russ-Mohl vertieft sich auf sehr anschauliche Weise darin, seinen Lesern die Mechanismen der aktuellen Medienlandschaft und den Einfluss ihrer Nutzer auf sie nahezubringen. Er beruft sich auf etliche Studien, die kürzlich oder vor einigen Jahren zu diesem Thema erstellt wurden, sodass jede seiner Aussagen einen Beleg hat. Kaum ein Sachbuch, das ich in der letzten Zeit gelesen habe, wartet mit so vielen Fakten auf, sodass es den Rahmen dieses Textes sprengen würde, näher auf sie einzugehen. 

Mir ist unter all dem, was Russ-Mohl erläutert, ein Abschnitt besonders aufgefallen. Darin geht es um die massive Datensammlung, die nicht nur Internetkonzerne, sondern auch Geheimdienste ebenso wie einfache Behörden betreiben. Gepaart mit der großen Bereitschaft der Internetnutzer, ihre persönlichen Daten frei nach dem Motto "Ich habe ja nichts zu verbergen" einfach herzugeben und kombiniert mit der wachsenden Terrorangst warnt Russ-Mohl vor der Gefahr eines Überwachungsstaats, in dem nichts Persönliches mehr persönlich bleibt.

Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde ist ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die wissen wollen, wie es um unsere Presse- und Meinungsfreiheit bestellt ist und welche Auswirkungen die Veränderung der Medienlandschaft auf unsere Gesellschaft hat.

Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde ist im Herbert von Halem Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 23,-- Euro.  
Das Buch wurde mir von der Agentur Literaturtest zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.

Zu der Frage, inwieweit es Bestrebungen gibt, zugunsten des Kampfes gegen den Extremismus die Rechte der Bürger auszuhöhlen, habe ich mich in einem weiteren Blogtext beschäftigt. 

Montag, 4. Dezember 2017

# 126 - Jesus - Ein Baby wird juristisch durchleuchtet

Geht beim Christkind alles mit "rechten Dingen" zu?



Auch an der Bücherkiste geht das sich nähernde Weihnachtsfest nicht spurlos vorüber. Da liegt es nahe, sich die Weihnachtsgeschichte einmal aus rechtlicher Sicht näher anzusehen. Das haben die beiden Juristen Jens-Peter Gieschen und Klaus Meier in ihrem Buch Der Fall »Christkind« getan - und zwar schon 1993.



Rechtswissenschaft trifft auf Theologie




Die Autoren beklagen zu Recht, dass sich zwar schon etliche Juristen an der Verurteilung und Kreuzigung von Gottes Sohn abgearbeitet haben, sich aber bislang niemand um die rechtliche Würdigung der Umstände seiner Zeugung und Geburt gekümmert hat. Diesem Missstand helfen sie in ihrem Buch endlich ab und halten sich selbstverständlich immer streng an rechtswissenschaftliche Grundsätze. Gieschen und Meier widmen sich beispielsweise der Frage, inwieweit Jesus' Vorfahren inzestuöse Beziehungen im Sinne des § 173 Strafgesetzbuch (StGB) eingegangen sein könnten. Ein Gedanke, den man nicht so einfach vom Tisch wischen sollte: In Matthäus Kapitel 1, Vers 1 bis 17 ist von nur fünf Frauen, aber immerhin vierzig Männern die Rede, wobei Letztere immer in Vater-Sohn-Verhältnissen genannt werden. Die Geschichte ist zwar schon wirklich, wirklich alt, aber mal ganz ehrlich: Das macht schon nachdenklich.

Auch die Frage, wie es zu Marias Schwangerschaft kommen konnte, obwohl sie doch ausdrücklich als Jungfrau bezeichnet wird, beschäftigt die beiden Autoren. Diese immer wieder von der Kirche diskutierte Frage ruft auch Gieschen und Meier auf den Plan: Mit einem kurzen Exkurs in die Biogenetik denken sie über die Möglichkeit der Luftbestäubung nach (man denke an Parallelen zur Bestäubung von Windblütlern) und verfolgen die "Zwei-Zentimeter-Theorie". Um niemandem zu nahe zu treten, will ich hier lieber nicht ausführen, worum es sich dabei genau handelt. Klar, dass hier die strafrechtliche Würdigung nicht fehlen darf. Die Autoren lassen nichts aus, bis sie bei der Beschneidung und Namensgebung angekommen sind. Damit sich die Leser zufrieden zurücklehnen und das Fest von Jesu Geburt feiern können, schließt die juristische Betrachtung mit dem nun rechtlich einwandfreien Beginn der Evangelien nach Lukas und Matthäus.

Ein brandaktuelles Thema - auch nach über 2000 Jahren

 

Der Fall »Christkind« ist im Eichborn Verlag erschienen, was klar macht, mit wie viel "Ernsthaftigkeit" Gieschen & Meier sich dieses wichtigen juristisch-theologischen Themas angenommen haben. Das Buch bedient nicht die sonst häufige feierliche Getragenheit anderer Titel, in denen es um die Weihnachtsgeschichte geht. Das mehrseitige Literaturverzeichnis belegt, dass die Autoren trotz des literarischen Augenzwinkerns immer seriöse Quellen herangezogen haben.
Der Fall »Christkind« kann nur noch antiquarisch erworben werden.