Samstag, 24. Juni 2017

# 105 - Freifahrtschein von der Komfortzone in den Terrorismus

Wenn da noch ein paar Rechnungen offen sind

 

Mit Spanish Bombs taucht Ulf Krämer in die spanische Geschichte während der Franco-Zeit ein, deren tiefe gesellschaftliche Gräben bis in die Gegenwart fortdauern. Vergeben und vergessen - dieses Motto passt zu keinem der Protagonisten.


Die Schatten der Vergangenheit


Anders Sulla ist 38 Jahre alt, ein bestenfalls mittelmäßiger Bühnenschauspieler und mit der vermögenden Nadine verheiratet. Das Paar hat sich in seinem Leben komfortabel eingerichtet: Gemeinsame Kinder soll es nicht geben, man gönnt sich Reisen und andere Unternehmungen und hat Kontakt zu Menschen, die genauso ticken wie man selbst. Das Leben plätschert so dahin, und das, was man in diesen Kreisen als Abenteuer bezeichnet, ist das, was das Programm von Eventanbietern so hergibt. Doch dann erhält Anders, den so gut wie alle, auch seine Frau, nur mit seinem Nachnamen ansprechen, unerwartete Post: Eine spanische Gesellschaft für Erinnerungskultur teilt ihm mit, dass es wahrscheinlich gelungen sei, ein Massengrab aufzuspüren, in dem sich die Gebeine seines Großvaters Joaquin befinden. Dieser habe der republikanischen Brigade Lorca angehört und sei 1954 erschossen worden. In einer Woche sei die Graböffnung in Sevilla vorgesehen, wozu man ihn als Joaquins Enkel herzlich einlade.
Sulla zögert nur kurz und mietet sich dann kurzentschlossen ein Wohnmobil. Ohne Nachricht oder Abschied macht er sich allein auf den Weg nach Andalusien. Die Premiere der Carmen-Adaption, in der er die Rolle des Toreros Escamillo spielen sollte, würde er verpassen, was er leichten Herzens hinnimmt. Doch seine Vorstellung, er könnte auf der Fahrt nach Südspanien etwas Abstand bekommen und den Kopf freikriegen, stellt sich rasch als Trugschluss heraus: Kurz hinter Lyon gabelt er die 17-jährige Deutsche Sophie auf, die offensichtlich verfolgt wird. Mit der Ruhe ist es jetzt vorbei. In Tarragona treffen sie in einer Wohnung von Sophies Internetbekanntschaft Yussuf auf die junge Teresa, die sich ihnen bis Málaga anschließen will und in Sulla den Verdacht weckt, sie könnte eine Terroristin sein. Bei einem kleinen Umweg über Madrid nehmen sie Sullas alten Kumpel Lars in ihre kleine Runde auf. Das macht die Fahrt nicht entspannter.


Wer interessiert sich für die Toten in einem Massengrab?

 

Die amerikanische Kriegsreporterin Ava Svensson ist ebenfalls auf dem Weg nach Sevilla. Auf ihre Initiative hin ist es zu dem offiziellen Exhumierungstermin, zu dem die Angehörigen aller dort bestatteten Freiheitskämpfer eingeladen wurden, gekommen. Auch sie hat eine persönliche Motivation, die sie antreibt: Zusammen mit ihrem Onkel Phil, einem erfahrenen Reporter, und einem Fotografen, war sie in Kolumbien in eine Sprengfalle geraten, die ihren Onkel das Leben gekostet hatte. Er verfolgte damals die Spur seines ermordeten Vaters, dessen Leiche sich in dem andalusischen Massengrab befinden sollte. Jonathan Svensson gehörte allerdings nicht der Brigade Lorca an, sondern war als Reporter in Spanien gewesen. Ava hat das Gefühl, Phil etwas schuldig zu sein und setzt dessen Nachforschungen fort.
Schon kurz nach ihrer Ankunft in Sevilla trifft Ava auf den merkwürdigen Taxifahrer Jésus, der sich auf der Suche nach dem seiner Meinung nach besten Tapaskoch der Welt befindet: Alfonso, der seit Jahren das Restaurant La Orilla betreibt. Alfonso ist von einem Tag auf den anderen wie vom Erdboden verschluckt. Jésus' Nachforschungen gehen zunächst ins Leere, aber nachdem er einen alten Bekannten, den er aus seinen früheren Tagen als Krimineller kennt, um Hilfe gebeten hat, bekommt er eine heiße Spur. Doch es gibt Leute, die die Graböffnung verhindern wollen und die ebenfalls auf der Suche nach Alfonso sind, auch wenn sie ihn nicht unter diesem Namen kennen. Eine ganze Reihe von Menschen muss um ihr Leben fürchten, während andere es so schnell verlieren, dass sie vor ihrem letzten Atemzug nicht mehr zum Nachdenken kommen.

Wie war's?

 

Spanish Bombs wird im Klappentext als Road-Story bezeichnet, was die Atmosphäre sehr gut trifft. Ein großer Teil der Handlung findet auf Straßen oder Parkplätzen statt, und nicht nur Sulla ist in diesem Roman auf der Suche nach der Freiheit und sich selbst. Der Buchtitel schlägt die Brücke zwischen der Diktatur unter Franco sowie der Verfolgung und Ermordung der Widerstandskämpfer durch die spanischen Faschisten und dem gleichnamigen Song der Punk-Band The Clash, der das Thema ebenfalls aufgreift.
Ulf Krämer baut die Geschichte des Widerstands gegen das Franco-Regime und die unrühmliche Rolle der Guardia Civil immer wieder geschickt in die Handlung seines Romans ein. Wer bislang noch nichts über diesen Teil der spanischen Geschichte wusste, erhält so zumindest einen Eindruck dessen, was sich unter der Diktatur des "Caudillo" zwischen 1936 und 1975 in Spanien abgespielt hat. 
Spanish Bombs ist sehr flüssig geschrieben und wird an keiner Stelle langweilig.
Die Handlung ist - locker formuliert - ziemlich abgefahren. An manchen Stellen befindet sie sich auf einem schmalen Grat zwischen einer knappen Glaubwürdigkeit und der beginnenden Zweifelhaftigkeit. 
Ab etwa der zweiten Buchhälfte hätte das Korrektorat gern aufmerksamer sein dürfen. Zu oft finden sich Fehler, die sich störend auf den Lesefluss auswirken.

Spanish Bombs wurde bei epubli veröffentlicht und kostet als Taschenbuch 16,99 €.

 

  

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