Freitag, 24. Juli 2015

# 8 - Über den Versuch, den britischen Angelsport in Vorderasien anzusiedeln

Was die Idee eines jemenitischen Scheichs im fernen Großbritannien auslösen kann

 

Da es schon  beim letzten Buch kurios zuging, knüpfe ich mit dem Titel Lachsfischen im Jemen des britischen Autors Paul Torday einfach mal nahtlos daran an ;-) Die mir vorliegende Ausgabe ist 2007 in der 10. Auflage im Berlin Verlag erschienen und hat etwas mehr als 300 Seiten.


Und das steht drin:

 

Das Zentrum für Fischereiwesen (ZFW), eine Abteilung des britischen Landwirtschafts- und Ernährungsministeriums, erhält eines Tages ungewöhnliche Post: Eine Vertreterin der Immobilienfirma Fitzharris & Price, Harriet Chetwode-Talbot, bittet den renommierten Fischreiexperten Dr. Alfred Jones um seine Mitarbeit bei einem sehr ambitionierten Projekt. Einer ihrer Kunden, Scheich Muhammad ibn Zaidi bani Tihama, will im Jemen Lachse in einem Wadi ansiedeln und dort die Sportfischerei einführen. Der Kunde stammt aus dem Jemen, ist passionierter Sportfischer und sehr wohlhabend, sodass dem Vorhaben keine finanziellen Grenzen gesetzt wären. 
Verständlicherweise glaubt Dr. Jones zunächst an einen schlechten Scherz und lehnt das Ansinnen mit dem Hinweis ab, dass Lachse kaltes und sauerstoffreiches Wasser sowie viele Fliegen benötigen, um zu überleben. Am wohlsten fühlten sich die Tiere deshalb rund um Island, den Färöern und Grönland. Da seien also keine Ähnlichkeiten zum Jemen zu entdecken. Doch mit dieser Auskunft ist das Thema keineswegs erledigt.

Der Lachs und die Angelrute werden zum Politikum

  

In mindestens einer Hinsicht ist es im Buch wie im "richtigen" Leben: Sobald die Politik auf den Plan tritt, wird die Situation irgendwie unübersichtlich. Das Außenministerium bittet das ZFW kurz darauf um seine Unterstützung: Da die Haushaltssituation angespannt sei, kämen private Finanzquellen wie die des Scheichs gerade recht. Sollte das ZFW bei seiner Weigerung bleiben, beim Lachsprojekt behilflich zu sein, müsse über Mittelkürzungen in seinem Bereich nachgedacht werden. Schon sieht die Sache anders aus, und Dr. Jones wird angewiesen, unverzüglich mit Harriet Chetwode-Talbot Kontakt aufzunehmen. Das Jemenlachs-Projekt gerät immer mehr zu einer Imagekampagne für den machtbewussten Premierminister Jay Vent und wird von dessen Kommunikationschef Peter Maxwell vorangetrieben. Maxwell ist ein eitler, selbstgefälligerMensch, der sich gern im Mittelpunkt erfolgreicher Kampagnen sieht und sich für unabkömmlich hält. Als er seine Chance wittert, sich mit diesem ungewöhnlichen Projekt zu profilieren, verstärkt er den Druck auf das ZFW. Dessen Leiter David Sugden droht daraufhin Dr. Jones mit Entlassung, sollte dieser sich hier nicht mit vollem Einsatz einbringen.


Fliegenfischen als Vision für den Frieden unter den Menschen

 

Im Gegensatz zu einigen anderen Protagonisten ist der Scheich völlig uneitel und möchte mit seinem Wunsch, das Fliegenfischen nach Lachsen in seinem Land zu etablieren, den Frieden fördern. Menschen aller sozialen Schichten sollen gemeinsam dieser Leidenschaft frönen und Verständnis füreinander entwicklen. So hat er es in Großbritannien erlebt, wo er einen Landsitz hat und ihm diese zutiefst britische Beschäftigung beigebracht wurde. 

Da Dr. Jones ein ereignisloses und einsames Privatleben hat, verfügt er über genügend Zeit, sich dem neuen Auftrag ausgiebig zu widmen. Er ist seit 20 Jahren mit Mary verheiratet, deren einziger Lebenszweck der Fortgang ihrer Karriere bei einer Bank ist. Dem ordnet sie alles unter, auch ihre kinderlose Ehe. Sie ist eine spröde, humorbefreite und fast schon asketische Frau, die das berufliche Treiben ihres Mannes missbilligend beäugt und ihre Abneigung vor allem an seinem relativ geringen Einkommen festmacht. Aus der Perspektive des Lesers wird sie ziemlich schnell unsympathisch. 

Jones hat sich in seinen Rollen als Ehemann und Wissenschaftler eingerichtet und war bisher nie auf die Idee gekommen, dass sein Leben mal auf den Kopf gestellt werden könnte. Bei seinen Zusammenkünften mit dem Scheich und Harriet werden ihm beide immer sympathischer, was besonders auf die jüngere Frau zutrifft. Sie ist jedoch mit dem Soldaten Robert verlobt, der sich zurzeit an einem unbekannten Ort im Irak aufhält ud dort nicht erreichbar ist.

Das Jemenfisch-Projekt gerät in den Fokus der britischen Öffentlichkeit, als es um die Frage geht, woher die dafür nötigen Lachse kommen sollen. Als die Presse davon Wind bekommt, dass hierfür tausende Tiere aus den britischen Flüssen abgefischt und nach Vorderasien gebracht werden sollen, weht den Verantwortlichen ein eiskalter Wind ins Gesicht. Dass dabei der Erfolg des Projekts grundsätzlich bezweifelt wird, gerät darüber fast zur Nebensache.

Terrorismus als Waffe gegen die Einführung christlicher Gepflogenheiten

 

Der Widerstand aus Großbritannien war dem Autor noch nicht genug: Dem Scheich droht auch Ungemach von ganz anderer Seite. Terroristen von al-Qaida ist das Ansinnen, eine Tradition der verhassten "Kreuzritter" in den Jemen zu importieren, ein Dorn im Auge. Dagegen kennen sie nur ein Mittel: Der Urheber dieses Übels, Scheich Muhammad, muss liquidiert werden. Als sich der Scheich auf seinem schottischen Landsitz aufhält, "überzeugen" sie deshalb einen jemenitischen Ziegenhirten, dessen ganze Herde verendet ist, nach Großbritannien zu reisen und den Scheich aus dem Weg zu räumen. Der im Töten ungeübte Mann verkleidet sich als Schotte, fliegt jedoch auf, weil er aus Unkenntnis einen Schottenrock mit dem Muster eines Clans trägt, der längst nicht mehr in der Gegend lebt. Der einheimische Begleiter des Scheichs erkennt diesen Fehler und überwältigt den Jemeniten ausgerechnet mit einer Angelrute.

Weil die Kritik am Projekt im eigenen Land immer stärker wird, bekommt das ZFW nun die Order, sich völlig zurückzuziehen und Dr. Jones zu entlassen. Bevor dieser die Situation überhaupt realisieren kann, wird er für dieses Projekt von Fitzharris & Price zu einem horrenden Jahresgehalt eingestellt. Dank der immer enger werdenden Zusammenarbeit von Jones und Harriet kommen sich die beiden auch menschlich näher und der Forscher verliebt sich in seine Kollegin. Für einen Moment scheint es, als würde Harriet seine Gefühle erwidern.Sie trauert jedoch um ihren Verlobten Robert, der im Irak als vermisst geführt wird und höchstwahrscheinlich ums Leben gekommen ist. Die gebührenpflichtige Trauerhotline der Army ist da keine Hilfe: Sie wurde kurz zuvor aus Kostengründen von England nach Indien ausgelagert und wirbt um Verständnis, wenn es bei den Call-Center-Mitarbeitern zu Sprachschwierigkeiten kommen sollte.

Viele Fische und drei Tote

 

Es gelingt trotz aller Widrigkeiten, die großen Probleme des Jemenlachs-Projekts zu lösen. Die Fische werden bei einem Züchter eingekauft und mit speziell angefertigten Transportboxen in den Jemen gebracht. Mit viel Technikeinsatz wird dort das Wasser in großen Becken ununterbrochen kühl gehalten, und rechtzeitig zum Beginn der feierlichen Eröffnung setzt der ersehnte Regen ein, der die Betonkanäle füllt, die in das Wadi führen. Da sich die öffentliche Meinung sowohl in Großbritannien als auch im Jemen zwischenzeitlich wieder zugunsten des Projekts gedreht hat, erscheinen auch der britische Premierminister und sein Speichellecker Peter Maxwell zur Einweihung. Der hat einen pressewirksamen Auftritt seines Chefs arrangiert, bei dem Jay Vent innerhalb von 20 Minuten einen Lachs angeln soll. Leider hat sich vorher niemand mit den Folgen der starken Regenfälle beschäftigt, die innerhalb weniger Minuten ein ausgetrocknetes Flussbett zu einem reißenden Strom werden lassen. So kommt es, dass aus Unachtsamkeit drei Personen von den Wassermassen in den Tod gerissen werden und Großbritannien nach einem neuen Premierminister Ausschau halten muss. Auch der Scheich ist unter den Toten, was sich nicht günstig auf die Zukunft der Lachs-Anlage auswirken soll.

Der Sonderausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des britischen Unterhauses kommt nach seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Peter Maxwell sich aus eigennützigen Motiven für das Projekt engagiert hat und empfiehlt, ihn zu entlassen. Maxwell ist beruflich ruiniert. 
Dr. Jones ebenso, obwohl das Vorhaben aus rein wissenschaftlicher Sicht ein voller Erfolg war. Er wird sofort von Fitzharris & Price entlassen und arbeitet nun in einer neuen Fischzucht, die dazu dient, den einheimischen Flüssen immer neuen Lachs-Nachschub zu liefern. Er verbringt sein Leben allein in einem Cottage und ist trotz der kargen Bezahlung mit sich im Reinen.

Der Sonderausschuss stellt außerdem fest, dass das ZFW seine Kompetenzen überschritten hat und regt dessen Auflösung an. Er kann der Angelegenheit jedoch trotz allem etwas Positives abgewinnen: Immerhin wird der jemenitische Staat mitten in Sanaa eine Statue des verstorbenen Premierministers sowie des Scheichs aufstellen, die die beiden in Wathosen und mit Angelruten in den Händen zeigt.

Sehr gelungene Politsatire mit einem kleinen Schuss Herzschmerz

 

Paul Torday hat einige wesentliche Eigenschaften des Politikbetriebs sehr humorvoll beschrieben: Vom Sein-Fähnchen-nach-dem-Wind-drehen über Eitelkeiten bis zur Selbstüberschätzung ist alles dabei.  Nach diesem werde ich sicher noch weitere Bücher von ihm lesen.
Außer diesem sind von Torday noch zwei weitere Bücher auf Deutsch übersetzt worden ("Bordeaux" und "Charlie Summers"), insgesamt hat er acht Titel verfasst. Er verstarb 2013.
 
Lachsfischen im Jemen wurde 2011 verfilmt. Die Hauptrollen wurden mit Ewan McGregor (Dr. Jones) und Emily Blunt (Harriet Chetwode-Talbot) besetzt. Auch dieser Film gibt wie zahlreiche Literaturverfilmungen vor und nach ihm den Inhalt des Buches nicht genau wieder, sondern lehnt sich nur an ihn an.

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen